Schlagwort-Archive: Universität Wien

Vom Umgangston in der deutschsprachigen Wikipedia

Das grosse Medienecho, das unser Werkstattgespräch Ende Juni in Wien ausgelöst hat, freut mich sehr. Es zeigt, dass auch im Rahmen eines universitären Forschungsseminars wissenschaftlich relevante Arbeit geleistet werden kann.

Weil dies in den Interviews zum Teil etwas zu kurz kam, sei es hier nochmals ausdrücklich betont: Diese Arbeiten wurden nicht von mir, sondern von einem rund 20köpfigen Team geleistet. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Wiener Forschungsseminars sei an dieser Stelle ausdrücklich für ihren Einsatz und die angenehme Zusammenarbeit gedankt.
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Wikipedia für Historiker/innen: Schlechter als erwartet

Die bisherigen Ergebnisse des Forschungsseminars «Wikipedia und die Geschichtswissenschaften» sind ernüchternd. Eine Untersuchung von rund zwanzig geschichtswissenschaftlichen Einträgen in der deutschen und der englischsprachigen Wikipedia hat gezeigt, dass die Qualität der Texte sehr schwankend ist, die unterschiedlichen Sprachversionen sehr voneinander abweichen und dass gerade bei komplexeren Themen sich Wikipedia keineswegs als Einstieg eignet.

Für die Untersuchung hatten wir – ausgehend von aktuellen enzyklopädistischen Diskussionen – gemeinsam ein Kriterienraster entwickelt und uns auf ein einheitliches Vorgehen geeinigt. Untersucht wurden Lemmata aus den (von uns definierten) Kategorien «Begriffe», «Epochen», «Ereignisse», «Personen» und «Methoden».

Die in der letzten Juniwoche zuerst intern und dann an einem öffentlichen Werkstattgespräch präsentierten Ergebnisse werden von den Projektmitarbeitenden zur Zeit zu ausführlichen schriftlichen Berichten ausgearbeitet und voraussichtlich Ende Jahr als e-Publication öffentlich zugänglich gemacht.

Aber schon die bisher vorliegenden Ergebnisse lassen einige Trends erkennen: Auf der formalen Ebene konnten wir beobachten, dass die Textlänge keineswegs mit der Qualität der Inhalte korreliert. Aufgefallen ist dabei, dass die englischen Einträge oftmals länger und zumeist besser strukturiert waren, als die deutschsprachigen.

Bemerkt haben wir in zahlreichen Fallbeispielen auch, dass fremdsprachige Literatur nur selten verwendet wird. Hin und wieder gab es zwar sprachübergreifende Literaturlisten, die effektiv verwendete Literatur war nur selten mehrsprachig. Für Texte, die sich in einem wissenschaftichen Umfeld platzieren, ist das natürlich bedenklich.
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Wiener G’schichten, Folge 7

Es mehren sich die Zeichen, dass wir die Ergebnisse des Forschungsseminars zum Thema «Wikipedia und die Geschichtswissenschaften» in irgendeiner Form dauerhaft publik machen sollten. Das Thema ist immer noch aktuell und die Erfahrungen von Historikerinnen und Historikern im Umgang mit Wikipedia zunehmend differenzierter.

Ein schönes Beispiel ist die Diskussionsseite des Beitrages zum Thema «Mission Hoyos». Der Beitrag ist ebenfalls im Rahmen einer (allerdings nicht öffentlich dokumentierten!) Lehrveranstaltung an der Universität Wien entstanden und zeigt das differenzierte Aushandeln des Textes in der Community. Zugleich illustriert dieses Beispiel, dass das Potential für Kooperationen zwischen Universitäten und Wikipedia beträchtlich sein dürfte.
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Wiener G’schichten, Folge 6

Nun also auch die Nationalbibliothek in Wien: «Google wird den urheberrechtsfreien Buchbestand der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) digitalisieren und dadurch weltweit online abrufbar machen. 400.000 Bände vom 16. bis ins 19. Jahrhundert sollen dabei im Volltext erfasst werden», meldet der ORF heute Mittag.
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Wiener G’schichten, Folge 5

Halbzeit in Wien. Was sehr schade ist, nicht nur, weil endlich das Wetter schön ist, sondern weil wir in den Kursen langsam so richtig in Fahrt kommen. Gestern zum Beispiel, in der Übung zu Digitalen Arbeitstechniken. Eine wunderbare Präsentation zum Thema «Web 2.0-Quellenanalyse». Eine gescheite Aufteilung in die methodischen Ansätze Diskursanalyse, Netzwerkanalyse und Text-Mining. Gute Beispiele und eine sehr anregende Diskussion.
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In Wien brennt die Uni. Na und?

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Seit Wochen wird in Wien und anderswo gestreikt, werden Hörsäle besetzt und ein Ende der Ökonomisierung des Bildungswesen gefordert. Das finden auch wir digitale Historiker im fernen Basel ganz toll. Schon alleine deshalb, weil eine zünftige Portion Neid mitschwingt: Mit unserem Studienbeginn in den 1980er Jahren waren wir irgendwie zu jung für die 1968er Bewegung und sind wohl zu alt für die 2009er Unruhen.
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Hätten die den Präsenzunterricht ganz abgeschafft …

streikwien

… dann wäre die Uni Wien heute vielleicht nicht besetzt worden. Die Studierenden protestieren gegen die neuen MA/BA-Studiengänge und den schleichenden Bildungsabbau. Angezettelt haben die Unruhen die Studis von der Akademie der Bildenden Künste (im Bild), die am Montag in einen Generalstreik getreten waren (welcher General bestreikt wurde, wissen wir leider nicht). Der Standard berichtet zur Zeit live vor Ort (Bild: fm4)
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Vor-Google in Wien (II)

Nun liegt die schöne Tagung in Wien schon fast eine Woche zurück, höchste Zeit also, ein paar Eindrücke zusammenzufassen. Für mich war es eine der fruchtbarsten Tagungen, die ich letzter Zeit besucht hatte. Nicht nur war sie bestens organisiert und konzipiert worden, auch Grösse, Lokalität und Stimmung waren optimal.
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Zum Bloggen in Lehrveranstaltungen (und in der Wissenschaft)

Ich habe zum Ausklang des alten Jahres mir die Zeit genommen, mich ausführlicher in den Weblogs der Lehrveranstaltung „Informatik und Medien in der Geschichtswissenschaft“ an der Universität Wien umzusehen. Hingewiesen habe ich auf diese erstmalige Verwendung von Blogs in einer Lehrveranstaltung der Geschichte im deutschsprachigen Raum bereits vor einigen Wochen zu Semesterbeginn. Ich hatte die Blogs zwar in den letzten Wochen immer wieder mal beobachtet, bislang jedoch noch wenig Anlass gehabt, mich dazu zu äusssern. Dazu gaben erst die letzten Einträge einen Anstoss, als es ums Bloggen ging. Die Studierenden äusserten sich zum Nutzen von Weblogs und reflektierten über ihre Erfahrungen, Einschätzungen und Erwartungen gegenüber diesem Medium. Dies gab mir Anlass, einige Einträge zu kommentieren. Dabei erlaubte ich mir den Luxus, im Gegensatz zu den Betreuer/innen der Lehrveranstaltung unvollständig bleiben zu können und nicht alle Blog-Einträge zu kommentieren.

Einige Erkenntnisse, die beim Durchlesen und Kommentieren zu Tage traten, seien hier kurz zusammengefasst.

Vielfalt
Zunächst fiel mir die formale Vielfalt der Weblogs auf. Da gibt es ausführliche, gegliederte Darstellungen neben kurzen, flachen und kompakten Einträgen. Hier wird die Individualität der Studierenden am deutlichsten sichtbar: man merkt, wem diese Art des schriftlichen Ausdrucks liegt, aber auch, wem es wichtig ist, dass keine Tippfehler oder stilistische Ungereimtheiten im Text vorkommen – entsprechende Korrekturen brauchen natürlich Zeit.

Andererseits weisen fast ausnahmslos alle Einträge nur wenige Links auf. Sie bestätigen damit ihren Charakter als Begleit-Texte zu einer Lehrveranstaltung, die eher „aus einer Lehrveranstaltung in einen Blog“ als „aus dem Web in einen Blog“ geschrieben werden.

In Bezug auf den Inhalt sind sich die Einträge sehr ähnlich, ja fast schon schematisch: sie rezipieren einen vorgegebenen Text, der zusammengefasst und kurz kommentiert wird. Das gibt wenig Anknüpfungspunkte für „Kommentare“ – die auch zum grossen Teil bislang fehlen.

Zeit
Zeit ist (entgegen dem landläufigen Vorurteil) auch für Studierende ein knappes Gut. Das merkt man den Blog-Einträgen zuweilen an: für viele ist dies eine Aufgabe neben anderen, nicht unbedingt ein Herzensanliegen, sondern eine Vorgabe der LV-Verantwortlichen. So halten sich die Einträge oft kurz und werden mit „heisser Nadel“ gestrickt, d.h. kurz vor dem vorgeschriebenen Termin verfasst. Teilweise sprechen die Studierenden die Zeitknappheit (bzw. den Zeitaufwand für die Abfassung von Blogeinträgen) gleich selber an (z.B. bei Barbara Trampitsch oder Julia Zauner). Ina Markova spricht das Thema Zeit auch an, aber anders herum: sie bezweifelt die Sinnhaftigkeit der Aussage, dass Weblogs eine Möglichkeit seien, auf den zunehmenden Zeitdruck im Studium zu reagiere. Nicht, weil sie es nicht für möglich, sondern weil sie es nicht für sinnvoll erachtet.

Öffentlichkeit
Einige Studierende thematisieren auch die Öffentlichkeit, in der die Lehrveranstaltung, bzw. ihre Beiträge dazu durch die Blog-Einträge stehen. In der Tat, hier wird die eigene Arbeit ja nicht einer Teilöffentlichkeit, die aus Dozent, Tutor/innen und Mitstudierenden besteht, präsentiert, sondern buchstäblich allen, die Zugriff auf das Netz haben und der deutschen Sprache mächtig sind (was Barbara Walkobinger im treffenden Titel „Paradoxon Weblog – das öffentliche Tagebuch“ zusammenfasst). So ein Blog-Eintrag mag jeweils nur ein kleiner Tropfen in die unendliche Informationsflut sein. Und doch: wie hätte ich das gefunden, wenn fremde, mir unbekannte Leute Äusserungen kommentierten, die ich im Rahmen einer Lehrveranstaltung formuliert habe? Wie finden das wohl die Studierenden in diesem konkreten Fall? Damit meine ich nicht den Umstand, sich in einer weltweiten Öffentlichkeit zu äussern (wo schon das Mitlesen in den Zusammenfassungen der Mitstudierenden eine neue Erfahrung ist, wie Andreas Schmidt erwähnt), sondern dass man dazu im Rahmen einer Lehrveranstaltung verpflichtet wird – es also nicht selber wählt.

Da kann man durchaus verschiedene Ansichten dazu haben: Ich bevorzuge (ähnlich wie Richard Valenta) die Sicht, dass der „Mut zur Praxis“ letztlich durch Erfahrungen belohnt wird, die sich mit rein theoretischen Auseinandersetzungen (z.B. ein Referat in einem Seminar zum Thema „Bloggen“: Powerpoint, mit schönen Screenshots und knackigen Zitaten) nicht erzielen lassen.

Kommunikation/Interaktion
Ebenfalls wird von einigen Blogger/innen bedauert, dass die Möglichkeiten des gegenseitigen Kommentierens, also des Online-Austausches zu wenig genutzt werde (z.B. Michael Weinrichter oder Peter Sniesko). Hier scheint sich zu bestätigen, was viele Foren-Gründer auch schon erfahren haben. Diskussionen stellen sich nicht von alleine ein. Dass sich hier (bislang) keine Online-Diskussion eingestellt hat, hat wohl verschiedene Ursachen (denk ich mir als Aussenstehender, der nicht Einblick in die Gesamtheit des Lehr/Lernprozesses hat). Einerseits treffen sich die Studierenden in den Präsenzveranstaltungen, deren Diskussionsformen vertrauter sind und daher bevorzugt werden. Zum Anderen gab es bis anhin wenig Anlass zur Diskussion: die Studierenden fassten Texte zusammen und haben bisher kaum abweichende Einschätzungen zu den vorgegebenen Inhalten entwickelt. Das kann sich allerdings schnell ändern, wenn die Aufgabenstellungen etwas anders gefasst werden, worauf auch Philipp Doerler hinweist. Generell wäre auch eine andere Konstellation denkbar, wie Blogs in Lehrveranstaltungen integriert werden: Wechselweise könnte ein Teil der Studierenden die Aufgabe erhalten, auf die Blogeinträge anderer zu reagieren und diese zu kommentieren.

Wissenschaftlichkeit
Hrovje Tokic fragt sich: Können Blogs zitierfähige wissenschaftliche Beiträge sein? Im Prinzip schon, wenn sie Anforderungen an wissenschaftliche Texte erfüllen, mit anderen Worten der Autor bekannt ist und dieser klar darlegt, auf welcher Grundlage er zu seinen Schlüssen gekommen ist (Quellen- und Literatur-Nachweis). Das scheint mir nicht eine grundsätzliche Frage des Formats, sondern eher eine seiner üblichen Verwendung zu sein: Weblogs sind in der Regel eher informell gehaltenes „lautes Denken“; ein Beleg dafür, dass sich im Web geschriebene und gesprochene Form der Auseinandersetzung durchmischen und die Grenzen zwischen Publikation und Kommunikation durchlässiger werden.

Soziale Kontakte
Am meisten beschäftigt die Studierenden die (vermeintliche) Aussage Martin Gasteiners und Jakob Krameritschs (deren Text zu Weblogs den Einträgen zugrunde lag, siehe unter Literatur – sehr ausführliche Zusammenfassung im Blog von Claudia Brandstetter), dass Weblogs im Stress des Studienalltags auch Funktionen sozialen Kontakts wahrnehmen können. Hier gehen alle Äusserungen in die Richtung, dass Weblogs die herkömmliche Form des Umgangs miteinander nicht ersetzen könne (z.B. bei Ina Markova, Michael Reiter, Andreas Schmidt, Dominik Schwarz und Barbara Walkobinger) Dabei geht es ja (wie oft in der Diskussion um Neue Medien) weniger um Ablösung und Ersatz bestehender Nutzungen als um die Erweiterung des Nutzungsmixes – und damit einhergehend die Notwendigkeit zur Entscheidung, in welchem Verhältnis man neue und alte Medien (und die damit zusammenhängenden Kontaktformen) mischen möchte.

Tanja Jenni bringt die letzten Punkte noch einmal anders aufgefädelt auf den Punkt: Sie fragt eigentlich danach, ob ein Blog seinen Sinn und Zweck erfüllen kann, wenn nicht eine aktive Gruppe an der Diskussion partizipiert, die durch die Einträge angeregt werden soll. Ich frage mich (und dies ist keine suggestive Frage): ist der Nutzen eines Weblog abhängig von der Grösse und der Aktivität der Leserschaft?

Mich selber interessiert am Bloggen weniger die Frage, ob es sich durchsetzt oder nicht. Vielmehr nimmt mich Wunder, wer genau zu welchen Zwecken und mit welchen Absichten als Wissenschafter Weblogs betreiben wird: als Hobby zu seinen Lieblingsfilmen, als Ventil, um den im Alltag der Scientific Community angestauten Frust zu verdauen, als Marketingmaschine, um auf die eigene Kompetenz (Forschungsprojekte, Publikationen) hinzuweisen, als Austausch- und Diskussionplattform, die der Themenfindung oder -abrundung dient. Und trennt sich die Scientific Community in eine Gruppe, die sich auf Tagungen trifft und solchen, die sich im Netz austauschen – wobei es beliebig grosse Schnittmengen geben kann?

Oder setzt sich in den Wissenschaften vielleicht nur das Edu-Bloggen als autodidaktische Spielwiese zur Schulung der Schreibkompetenz für angehende Jungakademiker (und als Plagiatsverminderungs-Strategie wie sie Sterngold vorschlägt) durch?

Immerhin haben einige der Studierenden geäussert, dass sie sich zumindest überlegen, ihren Weblog auch nach der Lehrveranstaltung weiter zu führen. Mal sehen.

Literatur:

  • Gasteiner, Martin; Krameritsch, Jakob: Schreiben für das WWW. Bloggen und Hypertexten, in: Schmale, Wolfgang (Hg.): Schreib-Guide Geschichte, Wien 2006, S. 243-271.

HOK Lesen/Schreiben: Blogs in einer Geschichts-Lehrveranstaltung der Universität Wien

Am Institut für Geschichte der Universität Wien, das schon mit dem Online-Lehrgang zum (geschichts-)wissenschaftlichen Arbeiten „Geschichte Online“ und dem preisgekrönten und eben bei H-Soz-Kult besprochenen Web-Projekt past.perfect sein Interesse an Internet-gestützter Lehre kundgetan und belegt hat, findet im laufenden Wintersemester die erste mir bekannte Lehrveranstaltung der Geschichtswissenschaften im deutschen Sprachraum statt, die mit Blogs arbeitet.

Die Studierenden sind angehalten, während des Semesters die Ergebnisse der Online-Phasen der Blended-Learning-Veranstaltung individuell in Blogs zu dokumentieren. Das Thema des Kurses lautet (etwas selbstreferentiell) „Neue Medien in der Geschichtswissenschaft“, wobei in erster Linie das Internet mit seinen verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten gemeint ist.

Noch ist das Semester zu jung, um abschätzen zu können, inwiefern der Einsatz von Blogs zu neuen Erkenntnissen beitragen kann. Das inhaltliche Programm ist jedenfalls geeignet, Vergleiche zu anderen Kursen mit ähnlichen Inhalten zu ermöglichen. Besonders gespannt bin ich auf die Reflexionen zum Ende der Veranstaltung.

Übersicht HOK: Lesen/Schreiben