Digital Secondos – Reloaded

Ich habe ja in den letzten Wochen bereits einige Male über verschiedene Studien berichtet, die den „Mythos“ der NetGeneration (oder Digital Natives oder Google Generation) kritisch hinterfagten und konstatierten, dass die Jugendlichen keineswegs dergestalt von den digitalen Medien sozialisiert werden, dass sie durchs Band neue Verhaltensformen beim Lernen und Forschen entwickelten. Die Digital Natives (so meine These) seien vermutlich eben nicht „Einheimische“, die in die digitale Kultur durch die Eltern eingeführt und sozialisiert werden, sondern wenn schon „Digital Secondos“, also Kinder von „Eingewanderten“, die sich selber auf sehr unterschiedliche Weise in der neuen (digitalen) Kultur zu behaupten wissen: Einige der Digital Immigrants neigen zur Überanpassung („Wow, der neuste Web-2.0 Trend – gleich ausprobieren und als Must-Have in meinem Blog anpreisen“); andere wiederum halten an der altvertrauten Ursprungskultur fest („Es gilt das gedruckte Wort“).

Wasser auf diese Mühlen der Digital Native-Skepsis (die ich wie gesagt keineswegs alleine betreibe) liefert ein Bericht, ((Studie im Auftrag der British Libary und JISC (Joint Information Systems Committee) (siehe Pressemitteilung), durchgeführt vom: Centre for Information Behaviour and the Evaluation of Research (CIBER): information behaviour of the researcher of the future, London 2008 (http://www.ucl.ac.uk/slais/research/ciber/downloads/; 28.4.2008). )) der im Auftrag der British Library das Nutzungsverhalten von Menschen untersuchte, die nach wissenschaftlichen Informationen suchen. Der Bericht, über den die Wissenswerkstatt und die Süddeutsche bereits berichteten, fasst den aktuellen Forschungsstand zusammen, bezieht sich also nicht auf eigene Untersuchungen. Dabei bleibt er zuweilen dann doch etwas gar vage und im Bereich der „anecdotal evidence“ (mit anderen Worten: „das, was meine Kolleg/innen so aus dem Alltag berichten“) und bietet überdies wenig Neues.

Die Digital Literacy und die Information Literacy sei nur bei einem Teil der Jugendlichen wirklich von hohem Stand, ausserdem gebe es auch immer mehr ältere Menschen, die genauso gut die Neuen Medien zu nutzen wüssten. Auch die Bevorzugung von Info-Häppchen, der Anspruch von sofortiger Verfügbarkeit von Informationen und die Neigung zum Herumzappen ist keineswegs auf die Jugendlichen beschränkt sondern in allen Altersschichten beobachtbar. Der Befund zur Behauptung, die Google Generation sei eine Copy/Paste-Generation, lautet:

Our verdict: We think this is true, there is a lot of anecdotal evidence and plagiarism is a serious issue.

Naja. Interessanter finde ich die (leicht enttäuscht formulierte) Feststellung, dass die Jugendlichen mit Bibliotheken noch immer in erster Linie „Bücher“ in Verbindung bringen. Der Transfer zum „Cybrarian“ hat offensichtlich nicht so geklappt, wie sich dies die Bibliotheken gewünscht haben. Die Auffassung, dass die Verbindung mit dem Kulturgut (und noch Träger wissenschaftlicher Information) „Buch“ auch eine Chance sein könnte, scheinen die Verfasser/innen der Studie nicht zu teilen.

Dass es eine homogene Net-Generation gebe, ist wohl wirklich ein etwas naiver Glaube der technophilen Apologeten des Web-Zeitalters gewesen (oder auch eine gezielte Übertreibung). Dass hier ein Matthäus-Effekt zum Tragen kommt („Wer hat, dem wir gegeben“), dass mit anderen Worten Jugendliche aus „bildungsnahen“ Schichten eben nicht nur im Umgang mit Büchern, sondern auch mit Neuen Medien wesentlich kompetenter sind, haben die Studien von Zillien ((Zillien, Nicole: Digitale Ungleichheit. Neue Technologien und alte Ungleichheiten in der Informations- und Wissensgesellschaft, Wiesbaden 2006.)) und Treumann ((Treumann, Klaus Peter; et al.: Medienhandeln Jugendlicher. Mediennutzung und Medienkompetenz: Bielefelder Medienkompetenzmodell, Wiesbaden 2007.)) bereits umfassend belegt. Interessant wäre meiner Ansicht zu untersuchen, wie genau die kompetenten Jugendlichen den ihre Medienkompetenz erwerben.

Ausserdem frage ich mich, ob da nicht etwas bizarre Ansprüche an die „Medienkompetenz“ gestellt werden, nur weil die jungen Menschen von heute mit digitalen Medien aufwachsen. So zitiert Wissenswerkstatt-Blog-Autor Marc Scheloske folgende Beobachtung von Dorin Popa:

“Nun war ich gestern mittag mit drei Mädels (21, 25, 27) verabredet, die gerade ihr Diplom abschließen und übernächste Woche ein Assessment Center durchmachen müssen. Keine einzige von ihnen war auf die Idee gekommen, im Internet danach zu googeln, was sie da erwarten könnte und wie man sich am besten auf so einen Einstellungstest vorbereite.”

Ich würde meinen, es gab auch schon zu analogen Zeiten Menschen, die mit verblüffender Naivität die nahe liegendsten Informationsmöglichkeiten ignorierten, selbst wenn sie zu nutzen im eigenen Interesse gelegen hätte: Einen Aushang am Schwarzen Brett nicht lesen; Hinweise in Lehrveranstaltungen ignorieren; versäumen, die Kolleg/innen oder den Professor zu fragen oder sich zu auf dem Sekretariat zu erkundigen, was genau in einer Prüfung vorkommt – das ist ja wohl keine Erfindung des digitalen Zeitalters.

8 Gedanken zu „Digital Secondos – Reloaded“

  1. Ich hatte ja in meiner kurzen Zusammenfassung auch angedeutet, daß ich von den Befunden doch überrascht war – das allerdings nicht ausschließlich, weil ich die Medien- und Recherchekompetenz der jungen Erwachsenen (egal ob wir sie nun als „digital natives“ oder „digitial secondos“ etikettieren) für erstaunlich unterentwickelt halte, sondern weil ich mich selbst dabei ertappt habe, wie ich (naiverweise) meine eigene Wahrnehmung zu stark verallgemeinert habe.

    Soll heißen: ich bin (obwohl auch noch nicht so wahnsinnig alt) doch implizit davon ausgegangen, daß die Studentengeneration nach mir eine deutlich höhere Internetaffinität aufweist, als zu meinen Zeiten. Daß sich diese Internetaffinität bei ca. 1/3 der jungen Erwachsenen im Alter von 18-24 v.a. in der Nutzung von Mail und SocialNetwoks (studiVZ etc.) erschöpft, war mir nicht bewußt.

    Allerdings halte ich (auch wenn es auch wieder nur anekdotisches Wissen ist) die Tatsache, daß gleich drei junge Damen die sehr naheliegende Googlerecherche nicht in Betracht ziehen, doch für seltsam. Auch wenn in früheren Zeiten auch nicht alles gut war. 😉

  2. Nun, wir wollen hier ja keinen künstlichen Streit herbeiführen – Mythen sind ja deshalb Mythen, weil sie so langlebig sind; folglich werden uns wohl in Zukunft die Erkenntnisse über die Heterogenität der „Net-Generation“ weiter begleiten.

    Ich selber bin auch immer wieder überrascht, wenn sich Studierende in meinen Kursen als digitale Naives outen. Wobei: seien wir auch hier genau: Die jungen Frauen, über die sich Popa wundert, werden vermutlich in Google sehr behände die coolsten Parties am Wochenende herausfischen und sich die Wegbeschreibung auf Google Maps anzeigen lassen; oder sie buchen mit grosser Selbstverständlichkeit ihre Flüge nach Barcelona oder London – und zwar die billigsten. Gut; vielleicht auch nicht. Fakt ist: wir müssen einfach damit rechnen, dass die Jugendlichen nicht über ein „geregeltes, genormtes“ Set von IT-Kompetenzen verfügen. Woher auch? Die Bildung in diesem Bereich wird ja völlig dem Zufall der individuellen Bildungsbiographie und den Interessenlagen der Peer-Group und des Elternhauses überlassen. Auch das schiene mir interessanter als Diskussionspunkt zu sein, als sich weiter über die Unfähigkeit der Schüler/innen und Studierenden zu wundern.
    Aber klar: Mythen üben eine gewisse Faszination aus. 😉

  3. Also ich, mit meinen 25 Jahren, würde meine Generation maximal als „electronic natives“ bezeichnen. Wobei der Begriff nicht trennscharf genug ist, um ihn wirklich zu verwenden. Damit meine ich, dass wir viel mehr mit elektronischer Technik aufgewachsen, als Generationen davor. Egal ob Handys, PCs oder CD-Player. Wichtig ist, denke ich, nicht nur, ob jemandem die genaue Benutzung bekannt ist, sondern ob der Anblick einer Sache vertraut ist. Um etwas als Teil des täglichen Lebens wahrzunehmen, muss man nicht damit umgehen können.

    Wenn ich meinen Studentenjahrgang (2004) mit den aktuellen vergleiche, dann sind die Unterschiede minimal. Zwar nutzen anscheinend mehr Studenten Community Portale, Emails und eBay, aber Historische Online Kompetenz entsteht dadurch nicht. Im Gegenteil: Dadurch dass die Web 2.0 Angebote immer simpler in der Handhabung werden, fehlt oft der Willen sich mit den eher nüchternen und älteren Historikerportalen auseinander zusetzen und das Wissen, um es auch wirklich zu tun.

    Es gibt, leider, wohl noch keine digital natives. Genauso wenig, wie es von Geburt an einen politischen Mensch gibt. Man wird eher hinein geboren und arrangiert sich dann damit. Zwar passt der Begriff „Digital Secondos“, aber jeder Mensch wandert auch selbst noch in diese Welt ein. Ob das nun durch Anleitung der Eltern, des Umfelds oder von sich selbst aus ist. Wobei sich die Frage aufdrängt, ob das überhaupt jemals anders wird. Ich bin zwar der Meinung, dass die Technologie von heute digitales Allgemeingut wird, aber was ist mit der Technik von morgen? Emails sind heute normal, aber was ist Podcasts? Was ist mit den Technologien von Morgen und ab wann ist man „digital nativ“? Wenn jeder den Umgang damit gelernt hat oder wenn jeder es kennt und es ein gewohnter Anblick ist?

  4. Ich muß Jan teilweise zustimmen, wobei man bei aller Netzeuphorie immer zwei Dinge bedenken sollte: Umfragen sind immer mit Vorsicht zu genießen, und ich denke, daß Statistiken, die die Netzaffinität der Jugend propagieren, noch vorsichtiger zu genießen sind, denn im Zweifelsfalle beschönigen viele ihren Umgang mit solchen Medien (klar bin ich oft online) und oft ist auch die Fragestellung zu oberflächlich.

    Beispielsweise hat eins der drei Mädels natürlich Konten bei den Lokalisten und Nachtagenten, nutzt sie aber praktisch nicht. Eine zweite hat auf meine Frage nach ihrer Mailanschrift http://www.gmx.de geantwortet. Das sind jetzt nur singuläre Ereignisse, aber ich glaube, daß wir Netzaffinen oft zu schnell von uns auf andere schließen.

  5. Ich denke, man kann besonders im Bezug auf Web 2.0 Angebote, von einer digitalen Welt sprechen. Diese Welt ist virtuell begehbar, erweiterbar und sehr vielfältig. Genau wie Menschen nicht nur durch die reale Welt gehen, um zu Lernen und zu Arbeiten, tun sie das im Internet auch nicht. Wie Jan Hodel schon gesagt hat, es gibt keine genormte Umgangsart mit dem Internet. Genauso wenig, wie es eine Art sich in einer neuen Stadt zurechtzufinden oder die passende Kleidung zu kaufen.
    So sehr man auch damit beschäftigt ist festzustellen, dass das Internet durchaus ein integer Ort ist, so ist es genauso sehr ein Platz der Freizeit. Deswegen muss eben der Umgang damit geschult werden. Wenn man vor der Zeit des Internets einen jugendlichen Studenten mit 100 DM alleine nach Hamburg geschickt hätten, wäre er auch nicht als Historiker wieder gekommen.

  6. Ich bin noch am Ueberlegen, was meine Erfahrungen mit einem Kurs-Wiki (ueber Wikispaces) sowie einer Wikipedia-Aufgabe in diesem Semester bedeuten. Eins ist mir klar. Jans Schlußfolgerungen stimmen mit meinen Eindruecken in den USA ueberein. Die gleichen Studenten, die vieles per Internet machen, haben wenig Ahnung, wie man neue Medien fuer wissenschaftliche Zwecke benutzt. Irgendwann muss wohl mehr in den Kursen dran, obwohl wir auch noch die alten Aufgaben erfuellen muessen. Aber auch mit ganz einfachen Webseiten gibt es Problemen. Die alten kritischen Lesemethoden gilten immer noch.

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