Digital Secondos – oder: No Net Generation?

schulmeister

Rolf Schulmeister wendet sich in einer kürzlich veröffentlichten Arbeit (Gibt es eine „Net Generation“?) gegen die Rede von einer Net Generation, die ein ganz eigenes Medienverhalten aufweise und daher auch besondere Bedürfnisse in die Bildungsinstitutionen mitbringe. ((Via beats blog, der auch zahlreiche Blog-Hinweise auf Schulmeisters Aufsatz auflistet)) Die Jugendlichen, so Schulmeister, seien keine einheitliche Generation, sondern sehr unterschiedlich in ihrem Medienverhalten, dass sich grundsätzliche nicht von jenem der Jugendlichen der vordigitalen Zeit unterscheide. Die Jugendlichen suchen soziale Kontakte zu Gleichaltrigen oder Unterhaltung.

So weit, so gut. Dennoch ist wohl unbestritten, dass die Jugendlichen heute unter anderen Medienverhältnissen aufwachsen als noch vor 15 Jahren – und ihr Verhältnis zu den digitalen Medien ein anderes sein dürfte. „The Internet just is“ ((Aus „Media Awareness Network: Young Canadians In A Wired World – Phase II Focus Groups 2004, S. 8; Verfügbar unter http://www.media-awareness.ca/english/special_initiatives/surveys/phase_two/ upload/yccww_phase_two_report.pdf)): Das Internet mitsamt Google und Wikipedia ist zu einem Teil des Alltags geworden. Dass diese „Digital Natives“ nicht alle einfach eine souveräne Kompetenz im Umgang mit den digitalen Medien an den Tag legen („Digital Naives“ nennt sie Beat Döbeli), widerlegt diese Tatsache noch nicht. Schliesslich sind die Jugendlichen auch in anderen Bereichen ihrer alltäglichen Umwelt unterschiedlich kompetent.

Möglicherweise bedarf das Konzept der „Digital Natives“ einer Anpassung. Statt davon auszugehen, dass der selbstverständliche Umgang mit digitalen Medien von kleinauf automatisch zu kompetenten Benutzer/innen führt, wäre (in der gegenwärtigen Situation zumal) eher von „Digital Secondos“ zu sprechen: Sie wachsen in einer Umgebung auf, die sie nicht „gewählt“ haben, in der sie (aller Alltäglichkeit zum Trotz) letztlich unerfahren sind. Denn niemand führt sie in diese „digitale Kultur“ ein, es gibt keine etablierten spezifischen Initiationsrituale von erfahrenen Kulturträgern. Die Erwachsenen sind ja selber noch damit beschäftigt, diese digitale Kultur zu meistern. Die „weisen Alten“ sind die einige Jahre älteren Peers, die Brüder und Schwester, die Kolleg/innen, zum Teil die digitalen Medien selbst, die berichten, wie und wo man was mit den digitalen Medien anfangen kann. In diesem Umfeld digitaler Medien kommen die einen besser zurecht als die anderen. Das liegt möglicherweise zum einen am individuellen Interesse an den digitalen Medien, wohl aber auch an Zufälligkeiten, wie sich die Rahmenbedingungen der Sozialisation konkret ausgestalten: was die Lehrpersonen, die Schule, die Eltern oder eben die Peers zum Einfinden in die digitale Kultur beitragen können und wollen.

Letztlich geht es um die grundsätzliche Frage, welche Bedeutung man den Medien und dem digitalen Medienwandel in unserer Gesellschaft beimessen will. Ist es nur eine leichte Variation des Status quo in der Gesellschaft, die durch ganz andere Kräfte gestaltet wird? Oder handelt es sich beim Umbruch von der Gutenberg-Galaxis zum Cyberspace um einen radikalen Schnitt, der die Gesellschaft auf völlig neue Grundlagen stellt? In diesem Spannungsfeld (wenngleich aus anderer Warte) sind auch die Habermas’schen Einschätzung zu Web 2.0 zu sehen. Schulmeister selber antwortet auf diese universelle Frage nicht. Ihn interessiert das Konzept der Digital Natives, bzw. der Net Generation im Hinblick auf Forderungen an das Bildungssystem, die in letzter Zeit von verschiedenen Protagonisten gestellt wurden mit der Begründung, es wachse hier eine neue Generation mit völlig neuem Lebens- und Lernstil heran. Dagegen verwahrt sich Schulmeister und belegt dies ausführlich mit einer detaillierten Analyse verschiedener vorliegender Studien aus dem englisch- und deutschsprachigen Raum. Er betont:

Die Medien sind Teil des Alltags, sie werden als gegeben hingenommen und ganz selbstverständlich genutzt und in die ganz normalen Sozialisationsprozesse einbezogen. Das bedeutet nach meinem Verständnis gerade nicht, dass die Medien die Einstellungen der Jugendlichen »prägen«, Nerds oder Net Kids aus ihnen machen. (S. 49)

Nun, wie stark die digitalen Medien die Jugendlichen prägen, oder wie stark die Medien nur herangezogen werden, um die „üblichen jugendlichen“ Tätigkeiten zu unterstützen, mag an anderer Stelle entschieden werden. Interessant an der Übersicht über Studien zum jugendlichen Medienverhalten ist ja die Oberflächlichkeit, mit der oftmals diese Medienverhalten erforscht und beurteilt wird. In einem muss ich aber Schulmeister widersprechen. Er beklagt:

In keinem Fall wurde eine wirkliche Kompetenzanalyse bei den Jugendlichen durchgeführt.

und weiter:

Es sind bei einigen Studien keine Ansätze zur Unterscheidung von Subgruppen vorhanden, so dass bei diesen Studien der Eindruck entsteht, die heutigen Jugendlichen gehören allesamt zur Netzgeneration. Dabei lassen sich durchaus Gruppen nach Einstellung und Verhalten differenzieren, und es wäre interessant zu erfahren, wie groß die Gruppe wirklich ist, der die Eigenschaften der Net Generation zugeschrieben werden. (S. 45)

Leider fehlt in der beeindruckenden Literaturliste die neue Untersuchung des Bielefelder Erziehungswissenschaftlers Klaus Peter Treumann (et al.), ((Treumann, Klaus Peter; et al.: Medienhandeln Jugendlicher. Mediennutzung und Medienkompetenz: Bielefelder Medienkompetenzmodell, Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss. 2007.)) die nicht nur Typenbildungen bei der jugendlichen Mediennutzung vornimmt, sondern auch ein etabliertes Medienkompetenz-Modell ((nämlich das Bielefelder Medienkompetenz-Modell nach Dieter Baacke)) der Analyse zugrunde legt. Die Untersuchung wird hier in Kürze ausführlicher besprochen.

Ein Gedanke zu „Digital Secondos – oder: No Net Generation?“

  1. Nein, ich stelle die Frage nicht, was denn das nun wieder mit Geschichtswissenschaft und Neuen Medien zu tun haben könnte – aber etwas würde mich schon interessieren: Wie beschreibt der Herr Schulmeister den Wechsel bei den Jugendlichen von der Schule in die Universität. Oder konreter: Wie wirkt sich das, was die Jugendlichen von der Schule mitbringen auf ihr Verhalten an der Universität aus? Im Zusamenhang mit der Wikipedia-Nutzung hatten wir ja schon die Beobachtung machen können, dass in der Schule Wikipedia von vielen gutmeinenden (und wenig kompetenten) Lehrern offenbar positiv konnotiert wird, während im Studium Wikipedia im „No go“-Bereich liegt. Lässt sich das auch verallgemeinern?

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