Die Groebner-Kontroverse. Oder: Zu Sinn und Unsinn von Wissenschaftsblogs

Muss ich das lesen?

Valentin Geoebner, um knackige Formulierungen nie verlegen, ((hierzu ist wohl die allerorten zitierte Aussage Groebners, in Blogs zu schreiben, vermittle das „Gefühl rastloser Masturbation“, zu zählen, wiewohl sie im ganzseitigen Artikel in der FAZ und auch in den anderen im Netz auffindbaren Dokumenten bislang nicht zu finden ist.)) hat in eloquenter Weise Zweifel am Nutzen (geistes-)wissenschaftlicher Blogs formuliert, zuerst an der Tagung „Rezensieren – Kommentieren – Bloggen„, zuletzt in der FAZ vom 6. Februar. ((Groebner, Valentin: Muss ich das lesen? Ja, das hier schon. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 6.2.2013, S. N5)) Erwartungsgemäss haben verschiedene Vertreter ((Vgl. Anton Tantner, Klaus Graf, aber auch Conradin Knabenhans.)) der Blogosphäre gekontert. Doch scheint der Schlagabtausch, so gewandt und süffig er geführt wird, in einigen zentralen Punkten von Unklarheiten, Missverständnissen und unterschiedlichen Vorstellungen geprägt zu sein. So droht die Debatte viel Polemik, aber wenig Erkenntnisgewinn zu erzeugen.

Kernaussagen und Missverständnisse
Was genau bringt Groebner denn an Kritikpunkten gegen die Blogs vor? Seine Ausführungen lassen sich auf zwei Kernaussagen reduzieren: Wissenschaftskommunikation kämpft seit der frühen Neuzeit mit dem Problem der Überproduktion und Wissenschaftsblogs tragen nichts zur Lösung dieses Problems bei, sondern akzentuieren dieses Problem noch. Der Verzettelung und Vervielfachung der Wissenschaftskommunikation, die seiner Ansicht nach durch Blogs befördert wird, stellt er die Notwendigkeit der Fokussierung, der Reduktion und der Prüfung gegenüber.

Dabei nimmt er eine folgenreiche Gleichsetzung dieser fokussierten und geprüften Form der Wissenschaftskommunikation mit dem gedruckten Buch (bzw. mit gedruckten Publikationen) vor. Wie ihm in den Repliken umgehend vorgehalten wird, ist die digitale Form einer Publikation keineswegs ausreichendes Kennzeichen, um ihr eine „verflüssigte“, „schwatzhafte“ oder „unbedeutende“ Charakteristik zu attestieren. „Fokussierende“ Publikationen können genauso gut digital erscheinen (e-Books, e-journals) – und damit alle Eigenschaften der Verfügbarkeit und Vernetzbarkeit aufweisen, die digitale Medien auszeichnen. Hierzu hat Peter Haber unter dem Titel „Die zwei Körper des Buches“ im Rahmen einer entsprechenden Lehrveranstaltung bereits massgeblich Überlegungen angestellt.

Blogs als Äquivalent zu kollegialem Gedanktenaustausch
Sinnvollerweise wäre bei der Kommunikation wohl zwischen offenen „Prozessen“ und abgeschlossenen „Produkten“ zu unterscheiden und nach ihrer jeweiligen Bedeutung für die Wissenschaftskommunikation zu fragen. Hier bietet sich eine Differenzierung der Wissenschaftskommunikation entlang der Dichotomie von Oralität und Literalität an, eine Unterscheidung, die in der Linguistik gerade in jüngster Zeit in der Auseinandersetzung mit Sprachnutzungsformen in digitalen Medien nicht mehr nur eine einfache Trennung in mündliche und schriftliche Kommunikation (bzw. deren fortschrittslogische Abfolge in einer medialen Entwicklungsgeschichte) darstellt, sondern sich zu einem Verständnis von unterschiedlichen Formalisierungsgraden der Kommunikation entwickelt hat.

Um eine Formulierung Groebners aufzunehmen: es gibt den „Klatsch und Tratsch“ und es gibt die Bücher (und Artikel). Dabei ist der „Klatsch und Tratsch“ für den wissenschaftlichen Diskurs genauso wichtig wie Bücher, wenn man sich vom pejorativen Beigeschmack der Bezeichnung zu lösen vermag. Sei es Tagungs- oder Kaffeepause, Begegnung auf der Strasse oder im Zug: wenn Wissenschaftler des gleichen Fachs sich treffen, tauschen sie Informationen aus, die nicht nur ihr persönliches Wohlbefinden und das Wetter betreffen, sondern auch neue Projekte, Ideen, Konflikte, Probleme. Insofern sind Wissenschaftsblogs äquivalent zu den Vernetzungsprozessen in informellen Fachgesprächen: sie dienen dem Erfahrungsaustausch über den Wissenschaftsalltag und stiften somit ebenso Zusammenhalt in und Zugehörigkeit zu der scientific community, wie die fachwissenschaftlichen Publikationen, die Ergebnisse wissenschaftlichen Arbeitens präsentieren.

Blogs zur Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse
Zweifellos können Blogs auch zur Präsentation von Forschungsergebnissen dienen und gleiche Funktionen wie Artikel, Miszellen, Essays oder Rezensionen erfüllen. Wie H-Soz-Kult oder sehepunkte.de zeigen, können auch eMailinglists und Websites für die Publikation von Rezensionen genutzt werden. Das Format „Weblog“ ist für verschiedene Nutzungsmöglichkeiten offen – ob Blogs für die Publikation wissenschaftlicher Publikationen geeignet sind, ist eher eine Frage der konkreten Implementation. Die verschiedenen Optionen zur Sicherung wissenschaftlicher Güte und Referenzierbarkeit der Beiträge und ihrer Verwendbarkeit für wissenschaftliche werden in ihren verschiedenen Formen ja derzeit erprobt: die Langzeitsicherung, eindeutige Identifizierung und redaktionelle Betreuung bei hypotheses.org, das open peer review bei historyblogosphere, die Selektion bei gpdh.org. Wie sich die wissenschaftliche Nutzung von Blogs in den nächsten Jahren etablieren wird, erscheint hier völlig offen.

Aufmerksamkeit – Arbeitsteilung – Intermediäre Instanzen
Offen scheint auch die Antwort auf die Frage, wer die ganzen Blogposts lesen soll? Der Speicherplatz und die Erreichbarkeit lässt sich wohl vermehren und damit auch die Möglichkeit für Dich und mich, einfach zu publizieren. Doch die Aufmerksamkeit ist ein begrenztes Gut, das sich nicht vervielfachen, sondern allenfalls fragmentieren lässt (Vgl. Attention Economy, Goldhaber 1997). Aus diesem Grund gibt es intermediäre Instanzen, die nach festen Regeln Selektion betreiben: in Redaktionen oder Bibliotheken, ja sogar in den selbstorganisierten Strukturen der Wikipedia. Die Sicherstellung von Nachvollziehbarkeit und Erfüllung methodischer Standards bei wissenschaftlichen Arbeiten dient ja nicht nur dem Machterhalt einer gerontokratischen, verblendeten Akademiker-Elite, die durch den frischen Wind aus dem Netz von den Schaltstellen der Wissenschaft hinweggefegt werden soll.

Intermediäre Instanzen, wie sie etwa Redaktionen darstellen, dienen auch der Entlastung der beteiligten Individuen durch Arbeitsteilung. Damit wir nicht alles selber verifizieren und überprüfen, oder auch nur zusammensuchen und im Hinblick auf seine Bedeutsamkeit im wissenschaftlichen Diskurs beurteilen müssen, nutzen wir intermediäre Instanzen, die diese Aufgaben für uns übernehmen. Dies hilft uns, das rare Gut der Aufmerksamkeit gezielter einzusetzen. Ob solche intermediären Instanzen in Zukunft im Stile fachredaktioneller Expertise, dank schwarmintelligenten Zusammenwirkens von adhoc-Kollektiven oder computergestützt mithilfe elaborierter Algorithmen agieren werden (eine Aufteilung, die hier bereits vor beinahe 8 Jahren vorgeschlagen wurde), scheint mir völlig offen. Wahrscheinlich werden sich im Netz alle drei Ausprägungen intermediärer Instanzen für je spezifische Anwendungen etablieren. Doch wie genau sich dies vollziehen wird und welche konkrete Bedeutung für unseren jeweiligen Wissenschaftsalltag dies haben wird, darüber kann im Moment nur spekuliert werden. Denn mehr als Spekulationen sind die Prognosen der an der Debatte beteiligten Protagonisten nicht, und wenn sie noch so überzeugt den weiteren Verlauf der Entwicklung vorzeichnen.

7 Gedanken zu „Die Groebner-Kontroverse. Oder: Zu Sinn und Unsinn von Wissenschaftsblogs“

  1. Dass Bücher in analoger und digitaler Form auftreten können und dennoch „Buch“ bleiben, hat Peter Haber bereits eingehend vertieft – die Aussagen in Absatz 3 nehmen diese Überlegungen in stark vereinfachter Form auf. Mehr hierzu unter: https://www.hist.net/archives/4817.
    (Fehlte in originaler Version des Posts, ist in der jetzigen Version eingefügt worden).

  2. Vielleicht würde es helfen einfach das Anspruchsdenken an die Blogs etwas zu reduzieren und diese als Prozessbestandteil der wissenschaftlichen Kommunikation zu verstehen. Ein sehr gelungenes Beispiel dafür ist der Blog
    Musings on Markets mit den Untertitel „My not so profound thoughts about […]“ von Prof. Aswath Damodaran.

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