THATcamp – vorbei und vergessen?

THATcamp: Entscheidungsfindung an der Wandtafel
THATcamp: Entscheidungsfindung an der Wandtafel (Foto: ©Serge Noiret, siehe Fussnoten)

Vor etwas mehr als einer Woche ging das erste THATcamp in der Schweiz zu Ende. Die Stimmung am Ende der zweitägigen Veranstaltung war aufgeräumt und locker. Doch was bleibt von dieser Tagung haften – nebst der (hier und hier) bereits ausführlich analysierten Benennung der Geschlechterproblematik in den Digital Humanities? Hat sich das Format der „unconference“ bewährt? Sind neue Themen und Probleme benannt und angesprochen worden, oder gab es neue Erkenntnisse zu altvertrauten Fragestellungen? Oder war das THATcamp vor allem eine gute Gelegenheit, um alte Bekanntschaften zu pflegen und neue zu knüpfen? Wie immer die von individuellen Erwartungen und Erlebnissen geprägte Antwort ausfällt: die Stärke des THATcamp liegt im inhärenten Versprechen, dass eine Wiederholung zur Verstetigung des Austausches innerhalb der Gemeinschaft führen kann.

Das Format des THATcamp zeigte meines Erachtens Stärken und Schwächen einer solchen „unconference“. Zu den Stärken zählen die Flexibilität in der Programmgestaltung, die es einfach ermöglicht, Interessen der Anwesenden in das Programm aufzunehmen, sowie die flache Hierarchie, die es allen Tagungsteilnehmenden erlaubt, ihre Interessen einzubringen und ihre Meinung zu den angesprochenen Themen kund zu tun. Im Kern, so empfand ich es, stand die persönliche Begegnung und Interaktion in der Diskussion über den Bildschirmrand des mitgebrachten Tablets oder Laptops hinweg. So gesehen verwies der anachronistisch anmutende Vorgang, ganz „analog“ mittels Zuruf und Wandtafel-Abstimmung das Programm des zweiten Tages zu generieren (und nicht durch einen cleveren Algorithmus aus der Twitter-Wall herauszudestillieren), deutlich auf den grundlegenden Charakter persönlichen Kontakts dieser Konferenz (wie auch anderer Konferenzen). Man mag mir Widersprüchlichkeit und Inkonsequenz vorwerfen, habe ich doch noch an der GMW07 ausführlich über die Diskrepanz von Tagungstitel und Tagungsrealität gespottet. Doch am THATcamp schien mir der Vorgang eher Ausdruck eines bewussten Entscheids des Tagungsablaufs zu sein als ein ritualisierter Vorgang aus reiner Gewohnheit – aber möglicherweise sehe ich das zu positiv. Immerhin nutzte die anwesende Community die digitalen Medien zur Verwitterung der einzelnen Workshops (unter dem Hashtag #tcch, der mittlerweile jedoch bereits aus dem Twitter-Gedächtnis entschwindet, wer’s nachlesen will muss zum Archiv in Twapperkeeper) und zum kollaborativen Notieren der Diskussionsverläufe auf sogenannten PiratePads (zu denen ich leider noch nirgends einen gesammelten Zugang gefunden habe, sie lassen sich aus den archivierten Twitter-Nachrichten herausziehen – Update 23.11.: die Session Reports sind hier zu finden).

Andererseits neigten viele der spontanen Workshops zu Diskussionen, die lediglich an der Oberfläche der verhandelten Themen kratzten und damit letztlich unverbindlich blieben. So wurde zwar deutlich, dass sich in den letzten Jahren gerade in der Schweiz institutionell einiges getan hat. Immerhin wäre das THATcamp ohne die Unterstützung von infoclio in dieser Form wohl kaum zustande gekommen. Auch die Entstehung zahlreicher Angebote im Bereich der Digital Humanities – von Litlink und Zotero über AdFontes bis hin zu den am THATcamp etwas weniger beachteten, sehr unterschiedlichen (und teilweise Schweizer) Projekten wie DODIS, SEALS, JSTOR und anderen, weist auf eine fortlaufende Etablierung der digitalen Medien im wissenschaftlichen Alltag hin. Doch die wissenschaftstheoretische Diskussion darüber, inwiefern die digitalen Medien den Erkenntnisprozess in den „Humanities“ prägt und verändert, scheint mir am THATcamp nicht so recht in Fahrt gekommen zu sein. Hier hatte ich den Eindruck, dass sich der Diskussionsstand in den letzten Jahren nicht wesentlich weiter entwickelt hat. Möglicherweise wird die eben genannte Institutionalisierung, zu der auch die Einrichtung von Studiengängen an verschiedenen Universitäten (z.B. in Würzburg oder in Köln) zu zählen ist, hier in nächster Zeit zu einer Verbesserung der Situation führen.

In dieser Hinsicht bin ich gespannt auf die langfristigen Ergebnisse, die das vergangene THATCamp hervorbringt. So haben sich etwa erste Bemühungen angebahnt, die Digital Humanities auf europäischer Ebene besser zu koordinieren und einen gesamteuropäischen Diskussionszusammenhang herzustellen. Das flexible Format hat sich auch bewährt, um Problemfelder in ungewohnter Weise manifest zu machen. Die Besetzung und Umwidmung der Session von Mills Kelly durch die Kolleginnen Mareike König und Eva Pfanzelter problematisierte die Geschlechterrollen im digitalen Diskurs (und konkret-analogen Tagungsablauf) in einer offensichtlichen Art und Weise, die an formalisierten Tagungen in dieser Form undenkbar wäre. Schon alleine deshalb wäre zu begrüssen, wenn auch das THATcamp eine Institutionalisierung erfahren würde. Gerade das „Gender Problem“ in den Digital Humanities bedarf wohl einer sowohl konkreten und wie andauernden Auseinandersetzung, um nicht einfach wieder dem digitalen Vergessen anheimzufallen.

Das THATcamp ist auf der eigenen Website in verschiedener Hinsicht dokumentiert (zusätzliche Hinweise auch noch im Post von Peter Haber): eine Übersicht über Blogposts zum THATcamp, Interviews mit ausgewählten Teilnehmer/innen, eine Videoführung durch die bootcamps (hier verlinkt in einem Eintrag bei weblog.hist.net), und Fotos bei Picasa (Serge Noiret und Anon.), sowie bei Flickr (Peter Haber).
Dem Dank, den Peter Haber an die Organisator/innen – insbesondere an Enrico und sein Team – richtete, schliesse ich mich natürlich vollumfänglich an.

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