Datenschutz reloaded oder: Die grosse Naivität in Sachen Google und Facebook

Über 20 Jahre ist es her, dass in Deutschland, der Schweiz und in vielen anderen europäischen Ländern das Thema «Datenschutz» auf der politischen Agenda einen festen Platz hatte. Ausgelöst durch die für 1981 geplante Volkszählung in Deutschland, die rasante Verbreitung des Personal Computers und die zunehmende Vernetzung der Computer formierte sich damals Widerstand gegen die unkontrollierte Sammlung und Auswertung von digital generierten personenbezogenen Daten. Es war die Gründungszeit der Datenschutzstellen. Der erste Bericht des Berner Datenschutzbeauftragten, den ich in meiner Ablage gefunden habe, datiert aus dem Jahre 1989.

In den 1990er Jahren beruhigte sich die Öffentlichkeit wieder ein wenig. Man war gewillt, gewisse Einschränkungen der persönlichen Datenintegrität in Kauf zu nehmen, da der Gegenwert als wesentlich grösser angesehen wurde. Als in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre sich das World Wide Web und das Mobiltelephon zu datenproduzierenden Massenphänomenen entwickelten, schien die Datenflut vollends unkontrollierbar zu werden. Datenschützer und eine kleine kritische Öffentlichkeit versuchten weiterhin, auf die Gefahren hinzuweisen, doch die Gier auf immer neue, immer personalisiertere Dienste war grösser. Arg- und sorglos fütterten die Menschen Google, MySpace, Microsoft etc. mit ihren intimsten Daten und delektierten sich an der schönen neuen Medienwelt.

Nun scheint sich das Blatt aber zu kehren. In den letzten Tagen mehrten sich die empörten Berichte in den grossen Medien über die Datenkraken Google und Facebook: Google hatte «irrtümlicherweise» bei den Aufnahmen für StreetView auch Daten aus offenen WLAN-Netzen aufgezeichnet und Facebook schraubt seit Monaten munter an den Privacy-Einstellungen seiner 400 Millionen-Nutzern herum.

Empörung! Empörung!

Wieso eigentlich? Gehört das nicht alles zum digitalen Handel?

Die Empörung über Google ist so naiv wie unreflektiert: In einem ungeschützen WLAN zu surfen ist ungefähr so, wie wenn man seine Bankdaten an die Haustüre heftet und sich dann wundert, dass das Konto leer geräumt wird. Oder wie ungeschützer Sex. Wer das Risiko liebt, soll sich auch nicht darüber beklagen, wenn etwas schief geht.

Mich erinnert das an eine Episode in einem kleinen Hotel vor einiger Zeit. Ich verband mich dort mit dem ungeschützten Netz des Hotels und hatte nach wenigen Sekunden sämtliche Lohnabrechnungen des Hotelpersonals und die ziemlich freizügigen Aufnahmen des Hotelbesitzers von seiner Frau auf dem Bildschirm. Ich hätte die Daten löschen oder dem Hotelpersonal eine kleine Lohnerhöhung hineinmanipulieren können, was ich indes nicht tat. Ich beendete irritiert die Verbindung und meide seither offene Netze.

Und Facebook? Gratis und franko liefert dieser wunderbare Dienst allen, die das wollen oder brauchen, im Minutentakt Tratsch und Klatsch über Freunde und vermeintliche Freunde ins Haus. Welch wunderbares Gefühl: Man sitzt vor dem Bildschirm und lässt sich mit Nichtigkeiten und Peinlichkeiten aus dem eigenen Umfeld berieseln. Ein ganz individuelles «Glanz und Gloria», rund um die Uhr und kostenlos?

Kostenlos? «Ex nihilo nihil fit» wussten schon die alten Römer, «von nichts kommt nichts». Wieso sollte sich ausgerechnet Facebook nicht an diese Regel halten? Unseren täglichen Tratsch gib uns heute und wir geben Dir unsere Daten. So einfach funktioniert die Facebook-Ökonomie.

Es ist Zeit, dass wir merken, dass im Internet nichts, aber auch wirklich gar nichts, «kostenlos» zu haben ist!

Ein Gedanke zu „Datenschutz reloaded oder: Die grosse Naivität in Sachen Google und Facebook“

  1. „Glanz und Gloria 2.0“ besticht durch die Hauptrolle der Datenkrake, welche sich ihrer vermeintlichen Hauptdarsteller bemächtigt, ohne dass diese es merken. Anreiz zum „kostenlosen“ Vergnügen? Man erhält das ideale Instrument zur Befriedigung von Geltungsdrang.

    Um eine meiner Lieblingsstellen zu facebook aus der „Zeit“ zum Thema „Höfische Gesellschaft2.0“ zu zitieren:

    „Wer schweigt, zählt nicht. Wer schweigt, dem wird die Freundschaft aufgekündigt […] Exaltiertheit schlägt Scham, Schlagfertigkeit stille Größe, Präsenz Zurückgezogenheit, Theatralität Wahrhaftigkeit, Affektkontrolle Unverstelltheit.“

    facebook ist also nicht der Freund, der das Selbstwertgefühl steigert – sondern der böser großer Bruder, der heimlich unser Tagebuch liest und es seinen „Freunden“ zeigt?

    Schock. Schock.

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