Wikipedia in den Wissenschaften | Werkstattgespräch in Basel (4)

Weitere Reaktionen auf das Werkstatt-Gespräch erreichen uns auf verschiedenen Kanälen. Während Nando Stöcklin im Wiki uns auf seinen Weblog-Eintrag hinweist, schreibt uns Desanka Schwara per e-mail von ihren Eindrücken:

Ich fand den einleitenden Beitrag sehr wichtig (und Eure Tagung!!), da die wenigsten wissen, wie Wikipedia eigentlich funktioniert. Mit dem Beitrag von Jan bin ich nur teilweise einverstanden. Diese „Verbote“ sind (wenigstens in meinen Kursen) nicht mehr und nicht weniger als alle anderen Tips, die ich den Studentinnen und Studenten ja auch gebe. Dass in Wikipedia nicht gerade Professoren unterwegs sind, bewegt mich persönlich weniger. (Auch der junge Mann, der als Theologe unterwegs war, hat meine ganze Sympathie 😉

Es geht um etwas anderes: Die Wandelbarkeit von Wikipedia (wie sie im ersten Vortrag sehr schön erläutert wurde); und dass nicht nachvollzogen werden kann, WER geschrieben hat und WOHER dieser Unbekannte (wie wir erfahren haben, in den wenigsten Fällen diesE Unbekannte) sein Wissen gezogen hat. Natalie Zemon Davis, Maria Todorova und Frantisek Graus (ich erlaube mir, in diesem Zusammenhang meine Vorbilder zu nennen) haben mein wissenschaftliches Vertrauen nicht durch ihre Namen gewonnen, sondern durch ihre Fussnoten. Ich kann jeweils nachvollziehen, woher sie ihr Wissen und ihre Schlussfolgerungen beziehen. Und ihre Publikationen sind mit ihren Namen versehen. Und das, was ich heute gesehen habe, kann ich auch morgen noch nachschlagen (vorausgesetzt, dass ich mir die Seite ihrer Bücher aufgeschrieben habe).

Kurz und gut: ich schätze Wikipedia sehr, ermutige meine Studierenden, sich mit Beiträgen zu beteiligen, etwas nachzuschlagen, sich weiterführende Literatur zu holen (wo vorhanden). Meine Erfahrung ist, dass gewisse Beiträge erstklassig sind, andere völlig unbrauchbar, dritte falsch und gefährlich. D.h. als Einstieg in ein Thema zu empfehlen, für viele Themen als Nachschlagewerk zu empfehlen. ABER: absolut nicht zitierfähig. Mein „Verbot“ and die Studierenden verstehe ich nicht als „Machtinstrument“, sondern als Hilfe, so wie alle anderen Hilfestellungen für das Verfassen von Arbeiten, das ich ihnen ja auch gebe.

Peter Haber stimmt Desanka Schwara zu:

Du sprichst mir aus dem Herzen! Ich bin, anders als Jan, auch dafür, dass man WP als grundsätzlich nicht zitierfähig erklärt und es nicht zulässt in wissenschaftlichen Arbeiten, dass aus WP zitiert wird. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass es Situation gibt, wo dies möglich ist, aber dann muss der Zitierende erklären und darlegen, wieso er/sie dies machen will. Kurz und gut: Wir sollten eigentlich – dies das Fazit unseres Workshops für mich – ein paar Verhaltensvorschläge ausarbeiten und im Netz zur Diskussion stellen.

Ich selber stimme zum Teil zu, zum Teil bleibe ich bei meinen Aussagen. In einem separaten Posting lege ich Kernaussagen meines Referats und Erkenntnisse aus der Werkstatt und den darauf folgenden Diskussionen dar.

Gibt es noch mehr Wortmeldungen?

4 Gedanken zu „Wikipedia in den Wissenschaften | Werkstattgespräch in Basel (4)“

  1. Pingback: weblog.histnet.ch
  2. Es gibt m. E. durchaus Wikipedia-Artikel, die das Niveau von Fachlexika erreichen, ihre Quellen ausführlich darlegen und genauso zitierfähig sind wie etwa das „Lexikon des Mittelalters“. Dass in vielen Fällen ein Wikipedia-Artikel in wissenschaftlicher Abwägung besseren Quellen unterliegen dürfte, ist sonnenklar.

    Nur: Niemand kann mir erzählen, dass ein Student heute nicht zuallererst einmal sein Thema googelnd umkreist, bevor er anfängt zus schreiben oder auch nur in Bibliothekskatalogen zu recherchieren. Alles andere wäre auch grob fahrlässig: vielleicht gibt es die ultimative Quellenedition online, vielleicht einen neuen Fachaufsatz, eine neue Rezension, eine neue wissenschaftliche Entwicklung, den entscheidenden Hinweis auf andere Forscher. Wenn dieser Student dann den Wikipediaartikel zum Thema findet und ihn nicht mal anschaut, vergibt er eine Möglichkeit, gewisse Literaturangaben, Volltexte, Websites zur Kenntnis zu nehmen. Natürlich kann der Artikel Schrott sein. Aber auch ein Fachaufsatz zu einem bestimmten Thema kann ziemlicher Schrott sein, und trotzdem sollte man wenigstens mal drübergelesen haben.

    Nun kommt ein weiterer Aspekt in die Diskussion hinzu: die wissenschaftliche Lauterkeit. Wenn mir der Wikipedia-Artikel nicht nur durch einen marginalen Quellenhinweis, sondern wirklich entscheidend weitergeholfen hat, dann wäre es unlauter, ihn nicht zu zitieren. Das Zitierverbot wird dann zum Plagiatsgebot. Es wäre aber auch unwissenschaftlich, einen Denkanstoß gar nicht erst aufzunehmen. Dann ist das Zitierverbot plötzlich gar ein Denkverbot.

    Wenn ein Professor etwas „für grundsätzlich nicht zitierfähig erklärt“, behindert er damit letztlich die Freiheit der Wissenschaft und traut seinen Studenten die Quellenkritik, immerhin eine der wichtigsten Kompetenzen, von vornherein nicht zu. Das apodiktische Verbieten ohne Ansehen des Einzelfalls fördert wohl wie jede Zensur das Versteckespielen (beim Regelübertreter) oder die Selbstbeschränkung in vorauseilendem Gehorsam (beim Regelbefolger).

  3. Pingback: weblog.histnet.ch
  4. Volle Zustimmung zu AndreasPraefcke.

    Kleine Ergänzung: Wenn die Studenten auch nach mehreren Semestern nicht selbst erkennen können, welche Quellen gut und zuverlässig sind, dann hat ihre Ausbildung offensichtlich versagt und sie hätten sich das Studium auch gleich sparen können.

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