Wie studiert die NetGeneration? Teilnehmende Beobachtung in der Unibib-Cafeteria

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Die Cafeteria der Universitäts-Bibliothek ist ein interessanter Ort um Feldstudien zur aktuellen Studierenden-Generation (=Digital Natives!!) durchzuführen. Hier wird nicht nur Pause gemacht, getratscht und das leibliche Wohl durch Essen und Trinken befördert. Hier wird vor allem gearbeitet. Fast alle Tische sind belegt mit Arbeitsmaterialien, über die sich Studierenden zumeist in Gruppen zu Zweit, zu Dritt oder zu Viert beugen und murmelnd Erkenntnisse, Fragen und/oder Antworten austauschen.

Womit arbeiten die Studierenden? Ich werfe einen diskreten Blick in die Runde. Rechts vorne zwei Medizin-Studentinnen. Das Laptop dient dem Aufschreiben von Notizen, ab und zu wird eine Frage im Internet geklärt. Im Zentrum stehen aber das gebundene, gut hundert Seiten starke Studienskript und zwei Lehrbücher zur Anatomie. Diese werden durchgearbeitet, mit Notizen versehen, passagenweise mit Leuchtstiften markiert und gegenseitig gezeigt.

Links vorne zwei Geographie-Studentinnen. Sie arbeiten mit einer Handvoll kopierten Seiten, die vermutlich in einer Lehrveranstaltung abgegeben wurden: Klimadiagramme, Strahlungsberechnungen. Notizen aus dem Lernprozess werden handschriftlich auf einen Notizblock gekritzelt. Ein Laptop ist (zumindest auf dem Tisch) gar nicht vorhanden.

Links hinten arbeiten zwei Studentinnen und ein Student der Rechtswissenschaft. Vor ihnen liegen aufgeschlagene Wälzer, vermutlich Grundlagen-Literatur („Zivilrecht I“ oder ähnlich). Hier wird auf Teufel komm raus mit Textmarker angestrichen und man wünscht der Menschheit, dass es sich nicht um ein Bibliotheks-Exemplar handelt. Kein Laptop.

Weiter vorne: Studentin und Student der Wirtschaftswissenschaften. Kein Laptop, jede Menge handschriftliches Material, gemischt mit Kopien. Es wird fleissig gekritzelt, gerechnet, diskutiert. Das gleiche am Tisch hintendran, dort ist eine männliche Vierergruppe am Arbeiten mit Manuskripten.

Weiter hinten: zwei Studentinnen der Medienwissenschaften, die den Rechner nutzen, um a) Notizen zu machen, b) Bücher im Bibliothekskatalog zu recherchieren, die sie dann auch gleich holen und aufarbeiten und c) Zusatzinformationen im Internet zu suchen.

Desweiteren zwei Tische, an denen Studierende Powerpoint-Vorträge gemeinsam durchgehen. Neben dem Laptop: Notizen, aufgeschlagene Bücher.

Der einzige, der ununterbrochen im Netz hängt, bin ich…

Gut, die Sache mit Twitter (und überhaupt dem Net-Generation-Missverständnis) haben wir ja schon geklärt. Aber wo, so frage ich mich, steckt eigentlich die berühmt-berüchtigte Google-Copy-Paste-Generation? Will denn hier niemand Wikipedia kopieren, äh – konsultieren? Was machen denn die hier mit all diesen Büchern. Und dann schreiben sie noch von Hand! Haalloo, wo sind wir denn??? Ok, vermutlich sitze ich im falschen Setting: hier versammeln sich ja eh nur die letzten verbliebenen Streber/innen, die noch dem alten Ideal der Gutenberg-Ära huldigen. Die wirklichen Net-Addicts sind in der Aula und besetzen die Uni, wovon sie sogleich im Web 2.0 Zeugnis ablegen (die twittern nämlich auch – und wie!). Oder sie schlafen zuhause noch den Rausch der gestrigen (Windows7-Launch?) Party aus, ehe sie kurz vor halb acht (nächste Party: Illegal runtergezogene Raukopie des neusten Hollywood-Blockbusters „2012“ – mit den geilen Computer-Effekten!) noch rasch die 30 Seiten starke Semesterarbeit aus dem Netz plagiieren, die sie morgen abgeben müssen.

Wenn die Wirklichkeit, die Du siehst, nicht mit Deinen Vorstellungen davon übereinstimmt – dann siehst Du vermutlich den falschen Ausschnitt der Wirklichkeit. Das erklärt sich dann so: Hier in der UB-Cafeteria wird von den Studis ein raffiniertes Potemkinsches Dorf aufgefahren: So tun, als ob man lernen würde, und schön darauf achten, dass die Kommilitonen und die Profs einen sehen, dann nix wie nach Hause und im Internet das Zeug für die Hausarbeit runterziehen. Andere Erklärung: sie führen ein Doppelleben (Jekyll and Hyde-Syndrom): Tagsüber brav lernen, wie die Profs es mögen – nachts (in Trance, daher schamlos und am nächsten Tage in dieser Hinsicht arglos) zusammenkopieren, was das Netz hergibt. Und schon ist die These von der Google-Copy-Paste-Generation gerettet.

P.S. In Wahrheit ist es natürlich ganz anders: die Studis büffeln auf die Prüfungen, ha, da können sie nämlich nicht google-copy-pasten! Gott sei Dank wurde bei der Bologna-Reform da gehörig die Prüfungsschraube angezogen, sonst würden die Studierenden ja gar nix mehr arbeiten, sondern alles aus dem Netz runterkopieren.

4 Gedanken zu „Wie studiert die NetGeneration? Teilnehmende Beobachtung in der Unibib-Cafeteria“

  1. Hehe, herrlich, das gsnze auch einmal aus der Fremdsicht zu erleben. Ich muss sagen, die Hauptaufgabe des Laptops in der Bibliothek ist neben dem Tippen, Citavi und Mindmanager 8 Pro zum ordnen der Citavi-Zitate für bessere Struktur die reine Ablenkung. Was in der Schulzeit das Überaschungsei am Schreibtischrand war, sind heute Studivz, wer kennt wen, brands for friends und jeder andere Mist, der einem eigentlich gar nicht interessiert aber nicht so übel müffelt wie die alten Schinken, die man ja wirklich gerne lesen möchte, die aber so schrecklich analog sind. Wobei: ich stelle die These auf in einem Kindle würde ich viel mehr lesen, für mündliche Prüfungen wäre das super. Aber zum abtauchen in die wissenschaftliche Tiefe muss ich viele Bücher sogar kaufen, selbst für kleine Hausarbeiten, denn ohne Textmarker und Randnotiz ist Übersicht behalten extrem schwierig.

  2. Na also, sieht man eben *doch*, was die digitalen Medien für einen schlechten Einfluss auf das Sprach- und damit das Bildungsniveau haben. It’s the hardware, stupid! Demnächst heisst es nicht: „Was, ich hab das Thomas-Theorem falsch zusammengefasst – aber so steht es doch in Wikipedia, ich hab es wortwörtlich dort rauskopiert!“, sondern: „Ich hab die Diskurs-Theorie von Foucault nicht verstanden. Das liegt am kleinen iPhone Display. Wirklich!“ 😉

  3. Schimmert mir da eine gewisse Liessmannsche Wunschfeindschaft gegenüber dem Neuen durch? 😉

    Mir wäre die Universität als Stätte der Bildung auch lieber, eigentlich das ganze Leben, aber man erkennt nun einmal dass das ganze Leben schrittweise durchindustrialisiert wird, wir sind gefangene auf dieser Welt, auf der sich die Schreie nach Stätten der Lebensnot so schnell ausbreitet wie Seidenfarbe auf einer 3,99 Seidenkrawatte. Dabei war ich vorsichtig!

    Web 2.0 gefasel und Hausarbeit schreiben ergibt ein interessantes Konglomerat.

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