Was ist eigentlich «Forschendes Lernen»?

forschendeslernen

Letzte Woche luden Ricarda T. D. Reimer vom E-Learning Center und Dr. Peter Tremp von der Arbeitsstelle für Hochschuldidaktik der Universität Zürich zu einem «wissenschaftlichen Tagesgespräch» an den runden Tisch nach Zürich. Es ging um die Frage, wie das Konzept der «Forschenden Lehre» sinnvoll im Hochschulbereich eingesetzt werden kann und welche Perspektiven netzbasierte Arbeitsumgebungen für die «Forschende Lehre» bieten könnten.

In den kurzen Präsentationen wechselten sich Praxisberichte mit theoretischen Ansätzen ab, was der Veranstaltung eine wohltuende Spannung verlieh. Interessant für mich als weitgehend Aussenstehenden war, dass das Thema zur Zeit sehr hipp zu sein scheint, aber selbst die Experten sich nicht einig sind, was unter «Forschendes Lernen» zu zählen ist und was nicht.

Aus den Projekten, die in Zürich zur Sprache kamen, sei an dieser Stelle lediglich eines herausgegriffen: AnwendungsOrientiert Mathematik Lernen oder kurz AnOrMaL von Junior.-Prof. Christian Spannagel von der PH Ludwigsburg (Hinweis an Kollega Hodel: trotz Mathematik statt Geschichte ist das auch für uns sehr relevant ….!). In diesem Projekt suchen die Teilnehmenden nach Beispielen für Mathematik im Alltag und tragen das im Netz zusammen. Spannagel setzt bei diesem Projekt auf Web 2.0-Effekte und lässt die Studierenden – so wie ich das auch jeweils mache – in öffentlichen Systemen arbeiten. Über den Forschungsbegriff liesse sich natürlich gerade an diesem Beispiel vortrefflich streiten, aber das soll hier ausgeklammert werden. Interessant ist, dass Spannagel zum Schluss kommt, dass mit solchen «öffentlichen Seminaren» neue Lernsettings ermöglicht werden, die ohne Web 2.0-Tools kaum zu realisieren gewesen wären. Dabei werden vor allem kompetenz- und prozessorientierte didaktische Ansätze favorisiert. In einem lesenswerten Beitrag hat er übrigens seine Erfahrungen mit dieser Art von öffentlicher Lehre kürzlich zusammengefasst.

10 Gedanken zu „Was ist eigentlich «Forschendes Lernen»?“

  1. Man möge mich korrigieren: Aber ist „Forschendes Lernen“ nicht im Postulat der Einheit von Forschung und Lehre eigentlich schon inbegriffen? Ist das hippe Thema folglich nur eine Reaktion von spezialisierten Hochschuldidaktiker/innen auf die zunehmende Verschulung der Massen-Universitäten (der sie letztlich ihre Stellen verdanken), die sie als dem Grundzweck der universitären Ausbildung (Forschungsfähigkeit) abträglich beurteilen und nun (innovativ) das Rad neu erfinden? Ich jedenfalls erinnere mich an meine Uni-Ausbildung als nichts Anderes als „forschendes Lernen“ – auch wenn die Erforschung nicht immer das Fachliche (=Geschichte) sondern (unfreiwilligerweise) eben oft auch das Lernen umfasste.

    Dies sei als polemischer (und durchaus selbstkritischer) Einwurf eines sich in letzten Jahren zunehmend der Didaktisierung der Hochschullehre verschreibenden Zeitgenossen erlaubt, der sich aber doch immer wieder einen kritischen Blick auf das Geschehen gestatten möchte.

    In der Tat ist dann nämlich auch der Forschungsbegriff der Web 2.0-Anwendungen zu hinterfragen: wird hier nicht einfach „öffentliches zur Schau stellen der eigenen Arbeit“ mit „Forschen“ in Eins gesetzt? Das wäre mal zu klären…

    BTW: Käme mir nie im Traum in den Sinn, die Relevanz von mathematikdidaktischen Erkenntnissen für unser Feld in Frage zu stellen! Teile schliesslich mit einer Erziehungswissenschafterin das Büro, die mit einem mathematikdidaktischen Thema eben promoviert hat. 😉

  2. Ich denke auch, dass sich die geschichtswissenschaftliche Ausbildung dank der Tatsache, dass sehr oft mit noch unerschlossenen Quellen gearbeitet wird, in einer speziell forschungsnahen Situation befindet.

    Zwei Fragen aber bleiben:

    Ist die Erschliessung neuer Quellen schon automatisch Forschung? Ist nicht eher die Interpretation das Entscheidende? So zumindest hat es Droysen definiert, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Wäre vielleicht der Terminus «Forschungsgeleitetes Lernen» eher angebracht? Die Frage, was «Forschung» im Kontext von «Forschendem Lernen» meint, wird nämlich dann interessant, wenn man den Begriff dort anwendet, wo er am häufigsten angewandt wird: im Bereich Schule. Auch dort wird vom «Forschenden Lernen» gesprochen, wenn zum Beispiel Primarschüler (= Grundschüler) nach Versteinerungen graben und die Funde analysieren. Allerdings würde ich persönlich hier eher von Er-forschen als von Forschen und demnach von «Er-forschendem Lernen» sprechen. Der Terminus «Forschung» wäre dann einem Unterfangen vorbehalten, das zum Ziel hat, das gegenwärtige und wissenschaftlich relevante Wissen einer bestimmten Community zu einem bestimmten Thema kritisch zu überprüfen, zu revidieren oder zu ergänzen. Er-forschende Prozesse hingegen wären dann nicht an den gegenwärtigen wissenschaftlichen Wissensstand gekoppelt und hätten nicht zum Ziel, das Wissen zu hinterfragen, zu revidieren oder zu mehren.

    Und die zweite, vielleicht weniger wichtige Frage: Beide, Kollega Hodel und ich, haben wir unser Studium in der seligen Vor-Bologna-Zeit absolviert, als es noch tatsächlich Archivseminare und Ausstellungsprojekte gab – zumindest am Historischen Seminar bei uns in Basel. War das HS Basel aber repräsentativ für den damaligen Stand und wie sieht es heute aus? Ein Blick in unser Vorlesungsverzeichnis zeigt, dass sich die Zeiten geändert haben.

  3. Dank an Kollega Haber, der in seinem Kommentar wesentliche Unterscheidungen vornimmt, die zur Klärung der Diskussion beitragen müssten (und letztlich auch aufzeigen, wie Didaktik mit ihrer Logik aus dem schulischen Umfeld über die Hochschuldidaktik in die Hochschullandschaft hinein zu wirken beginnt).
    Es ist vermutlich unbestritten, dass es bei der geschichtswissenschaftlichen Forschung um mehr als um das „Erschliessen von Quellen“, sondern um die Entwicklung einer neuartigen und soliden Interpretation geht. Doch ab wann gestehen wir einer Auseinandersetzung mit Geschichte diesen Status zu? Leistet das eine Seminar-, eine Master-, oder erst eine Doktor-Arbeit? Ist nicht Sinn einer Hochschul-Ausbildung, das Studierende das „Forschen lernen“? Das wäre m.E. noch einmal etwas Anderes als das „forschungsgeleitete Lernen“. War das nicht (um hier noch einmal die eigene Vor-Bologna-Studienzeit leicht zu verklären) ein interessantes Merkmal des Geschichtstudiums: in Proseminar- und Seminar-Arbeiten das Forschen einzuüben ohne zwingend schon (qua Publikation der Ergebnisse) an der (wie oben beschriebenen) „Forschung“ teilzunehmen?

  4. Nun haben wir also drei Begriffe und somit auch drei Konzepte, die zur Diskussion stehen: «Forschendes Lernen», «Forschungsgeleitetes Lernen» und – neu, von Kollega Hodel eingebracht – «Forschen lernen». Das finde ich in der Tat sehr spannend, denn wenn man diese Frage konsequent weiter denkt, sind wir sehr schnell bei der Grundfrage nach Sinn und Zwecke der universitären Lehre und – noch einen Schritt weiter gedacht – bei einem der Grundpfeiler der Universität.

    Versucht man nach zehn Jahren Bologna Bilanz zu ziehen, scheint mir das Ergebnis ernüchternd zu sein: Unter der Bürokratisierung und (vermeintlichen) Rationalisierung der Universitäten hat die Lehre massiv gelitten, die Studierenden kommen mit «Forschung» weniger denn je in Berührung und die Stimmung ist – bei Lehrenden und Lernenden (siehe Wien) – auch nicht die beste. So wie vor 40 Jahren der tausendjährige (?) Muff unter den Talaren verlüftet wurde, hat die als Reform getarnte Revolution im Nachgang zu Bologna den liberalen Geist der Post-68er-Generationen aus den Universitäten ausgetrieben.

    Die Rede vom «Forschenden Lernen» könnte so gesehen tatsächlich eine subversive Gegenbewegung zum Mainstream der forschungsfreien Lehre sein, denkbar wäre aber auch, dass es sich um den Versuch handelt, die grandios gescheiterte eLearning-Offensive der letzten zehn Jahre nun mit neuen Vorzeichen und neuen Begrifflichkeiten erneut aufzurollen. Das bedeutet nicht, dass alter Wein nun in neuen Schläuchen ausgeschenkt wird, vielmehr könnten nun ttsächlich neue, kreative Freiräume entstehen. Ob die dann mit den neuen Lernkulturen kompatibel sind, sei dahin gestellt. Auch in Zürich zeigte sich in den Diskussionen (und eigene Erfahrungen bestätigen dies), dass es beinahe unmöglich ist, bei netzbasierten Projekten aus dem Bereich des forschenden Lernens sinnvolle Leistungsbeurteilungen vorzunehmen.

    In Zürich war ja die Hochschuldidaktik aktiv – wie sieht eigentlich die Geschichtsdidaktik diese Frage, Kollega Hodel?

  5. In der Tat eine interessante Frage, auf die ich erst eine vorläufige, meinem unvollständigen Kenntnisstand entsprechende Antwort zu geben weiss (sicherlich mögen die mitlesenden Geschichtsdidaktiker/innen sich hier bei Bedarf mit ihren Präzisierungen und Ergänzungen einbringen).

    Zunächst wäre zu unterscheiden zwischen geschichtsdidaktischer Theorie und der Praxis im Unterrichtsalltag. In der Theorie ist interessanterweise ein Verbindung zum „subversiven“ Programm eines „forschenden Lernens“ auszumachen. Die Konzepte heissen zwar anders (projekt-orientiertes, selbständiges oder entdeckendes Lernen; mit je leicht anderen Schwerpunkten) und konzentrieren sich primär auf jenes „er-forschende“ Lernen, dass Kollega Haber bereits der Schulpraxis zugeordnet hat.

    Vor allem auf der Gymnasialstufe, die ja die Schüler/innen zur Hochschulreife bringen soll, ist ein propädeutischer Anspruch in den didaktischen Konzepten spürbar: Wissenschaftsorientierung heisst es da etwa – das meint einen expliziten Bezug auf die wissenschaftlichen Prozeduren und Erkenntnisse. Auch das selbständige Lernen dürfte im Fach Geschichte je nach konkreter Ausprägung durchaus auch Aspekte eines ersten forschungsorientierten Lernens und Erlernen des Forschungsprozesses aufweisen – dann, wenn es um Einführung in heuristische, quellenkritische und interpretatorische Regeln und Verfahrensweisen geht.

    Ob man solche Unterrichts-Sequenzen aber mit den Bezeichnungen „forschungsorientiertes Lernen“ oder „Forschen lernen“ versehen will, sei dahingestellt, insbesondere, wenn man die (mit empirischer Forschung noch nicht sehr gut dokumentierte) Praxis berücksichtigt, die sich vermutlich vorwiegend dem Vermitteln von Wissensbeständen widmet.

  6. Nur nicht Spielend Forschen!

    Hier bin ich allergisch, weil beim Forschen wenigstens einem möglichen Weg von vielen – einer Hypothese oder einem denkbaren Nutzen – und einem vagen Ziel nachzugehen ist. Das Spiel kommt ganz ohne damit aus, was vermutlich beim Heranwachsen richtig ist.
    Die neuen Möglichkeiten des Web2.0 sollten uns mehr zur Kommunikation eben über Hypothesen, Nutzen und Ziele bringen. Deshalb sehe ich das „neue Forschend Lernen“ darin, vor allem die Thesauri fortzuschreiben, die Begriffe sprachlich deckungsgleich zu machen.
    Geschichtlich: Englisch = Handel, Französisch = Diplomatie, Deutsch = Philosophie. Heute und in Zukunft: Web2.0, darin auch ePortfolio = Lernen und Forschen!
    Der Anfang wird gerade gemacht: Glossar deutschsprachig aktuell zu E-Learning.
    Wem zum Nutzen? Das schließt schon viele Irrwege aus.
    Mit freundlichen Grüßen
    Siegfried Werner
    seniorTrainer und Fotograf/Beobachter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert