Tagung „Aufklärung, Bildung, ‚Histotainment‘?“

Am 2/3. März fand in Berlin am Friedrich-Meinecke-Institut der FU eine Tagung statt, die nach der Rolle der Zeitgeschichte in Unterricht und Gesellschaft fragte. Organisiert wurde die Tagung von Michele Barricelli, Juniorprofessor für Geschichtsdidaktik am Friedrich-Meinecke-Institut und von Julia Hornig, Mitarbeiterin bei der Willy-Brandt-Stiftung in Berlin. Die Beiträge setzten sich auf vielfältige Weise mit der Frage auseinandersetzten, wie zeitgeschichtliche Themen heutzutage vermittelt werden. Dabei kam auch den Medien eine wesentliche Bedeutung zu.

Zunächst (Sektion 1: Zeitgeschichtliches Lernen akademisch) skizzierten Jan Holger-Kirsch und Andreas Körber den theoretischen Rahmen, wobei Kirsch eher historisch-genetisch vorging und anhand der Entstehungszusammenhänge des Konzeptes „Zeiggeschichte“ die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Erwartungen und Vorstellungen darlegte (ausgehend von Christoph Klessmanns Dik, während Körber einen strukturellen Zugang wählte, und das (von ihm bereits an anderer Stelle vorgestellten) Kompetenz-Modell des historischen Denkens auf die Zeitgeschichte anzuwenden versuchte. (Peter Massing, der für die politik-didaktische theoretische Einbettung besorgt sein sollte, musste sich krankheitshalber entschuldigen).

Die zweite Sektion (Orte zeitgeschichtlichen Lernens) wandte sich konkreten Vermittlungs-Inszenierungen zu und behandelte die jeweiligen Herausforderungen und Probleme. Nebst zwei physisch-konkret verortbaren Beispielen (aus dem letzten Jahr neu eröffneten, bzw. mit einer neuen Dauerausstellung gestarteten Deutschen Historischen Museum und dem Ende dieses Jahres neu zu eröffnenden Willy-Brandt-Haus in Lübeck) wurden auch Projekte vorgestellt, die ihre Inhalte mit Neuen Medien zu vermitteln suchten, mithin „virtuelle Orte“ darstellten.

Bettina Alavi stellte die Website Chronik der Mauer vor. Die Bundeszentrale für Politische Bildung hatte diese Website 2001 mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam zunächst für die präzise zeithistorische Information vo Journalist/innen entwickelt und nun die PH Heidelberg beauftragt, eine didaktische Aufbereitung für die Nutzung im Geschichtsunterricht zu entwickeln. Alavi machte die schwierige Ausgangslage deutlich: obwohl die Website faktisch interessant und fundiert zu bezeichnen ist, wirft sie in der Zusammenstellung der Inhalte, die rein chronologisch und sehr detailliert Ereignisse aneinander reiht, grundsätzliche didaktische Probleme auf, die nachträglich kaum zufrieden stellend zu lösen sind. (Kann man sich heutzutage noch erlauben, solche problematisch-widersprüchliche Aufträge abzulehnen?). Ähnliches (was die nachträgliche didaktische Aufbereitung von Materialien betrifft) berichtete Annegret Ehmann von einem DVD-Projekt zu Peter Weiss’ Theaterstück „Die Ermittlung“, das 1965 in beiden deutschen Staaten uraufgeführt wurde und anlässlich des Auschwitz-Prozesses erstmals in Deutschland eine breite gesamtgesellschaftliche Diskussion über die Judenvernichtung und die Verantwortung der Deutschen in Gang setzte.

Ganz zentral widmete sich am Samstag die dritte Sektion („Massenmediale Inszenierungen von Zeitgeschichte“) der Bedeutung der Medien bei der Geschichtsvermittlung. Paul Nolte eröffnete die Sektion mit der These einer seit den 1970er Jahren zunehmend „öffentlichen Geschichte“, die das wachsende Interesse der Gesellschaft an Geschichte widerspiegelte. Dabei habe sich auch das Verhältnis der Fachwissenschaft zur Geschichtsvermittlung zuhanden eines breiteren Publikums verändert: populäre Themen zu behandeln und erfolgreiche publikumswirksame Publikationen herauszugeben gilt auch in akademischen Kreisen nicht mehr als verpönt. Doch Nolte wies auch auf den dualen Charakter dieses „neuen Historismus“ hin, der einerseits als Top-Down-Prozess von der Politik zur Durchsetzung eigener Agenden genutzt wurde, aber auch als zivilgesellschaftlicher Prozess von Basis-Bewegungen getragen wurde (Geschichtswerkstätten). Der Hinweis auf die Auseinandersetzungen zwischen Fachhistorikern und der Laienbewegung der Geschichtswerkstätten liess mich aufmerken: wie ging eigentlich diese Auseinandersetzung aus? Liessen sich daraus auch Erkenntnisse für die gegenwärtige Diskussion rund um das „Laien-Wissen“ in Wikipedia ziehen?

Nolte äusserte die Ansicht, dass die Fachhistoriker sich in den letzten dreissig Jahren vermehrt aus eigenen Stücken der Vermittlung zugewandt hätten. Es gebe einen „Überlappungsbereich“ zwischen Fachwissenschaft und Publikumsinteresse und die Zeiten seien vorbei, als die Akademiker im Elfenbeinturm ein Fenster öffneten, ein neues Stücke autoritativer Geschichtsdarstellung abseilten und den Geschichtsvermittlern die Popularisierung überliessen. Das Publikumsinteresse wirke sogar stärker in die Forschungsfragen der Fachwissenschaft hinein. Die Risiken dieser Überlappung verschwieg Nolte keineswegs, ging aber auf das Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlichem und fachwissenschaftlichen Interesse nicht näher ein.

Sven Ihden (Filmemacher (auch) von zeitgeschichtlichen TV-Dokumentationen, beispielsweise den Zweiteiler „Sterben an der Ostfront„) und Sven Felix Kellerhof (Leitender Redakteur für Zeitgeschichte „Die Welt“/Berliner Morgenpost) berichteten aus ihrer beruflichen zeitgeschichtlichen Vermittlungs-Tätigkeit. Dabei zeigten sich einige der Problemzonen der publikumsorientierten Geschichtsvermittlung: Quotendruck und Aktualitätsvorgabe sind in den betriebswirtschaftlichen Überlegungen stark gewichtet. Das kann Synergien erzeugen: auch Fachhistoriker/innen bringen ihre Erkenntnisse gerne an ein grosses Publikum. Doch das Massentaugliche bewegt sich gerne in den immer gleichen Gefilden. So berichtete Kellerhof, dass von den 10 bestverkauften Spiegel-Ausgaben in den Jahren 2004 und 2005 je vier zeitgeschichtliche Themen behandelten und meinte zur thematischen Ballung dieser Titel launig: „Es muss nicht immer Nazi sein, aber meistens ist es Nazi“. Auch die Tendenz, dass in den Massenmedien zeithistorische Themen fast nur noch über Jubiläen und Jahrestagen (60 Jahre Kriegsende, 20 Jahr Mauerfall, 50 Jahre Sputnik usw.), in Form von Skandalen und Sensationen (Hitlers Atombombe, Mussolinis Tagebücher, Napoleons Krebsgeschwür) oder bei Cross-Media-Aktionen (Der Hintergrund-Artikel zur Fernseh-Doku) Platz finden, wurde zwar benannt, leider aber nicht vertieft. Hier vermisste ich den Raum für eine eingehende Diskussion am meisten.

Abgerundet wurde die Tagung mit je einer Sektion zu empirischen Forschungsprojekten (insofern bedeutungsvoll, als die Frage nach der konkreten Nutzung, bzw. der Wirkung der zahlreichen massenmedialen zeitgeschichtlichen Angebote weitgehend unbeantwortet scheint) und zu Praxis-Erfahrungen aktueller Vermittlungsprojekte, die auch sehr interessant waren, aber sich wenig mit den in diesem Weblog interessierenden Themen befassten.
Insgesamt blieb ein anregender Eindruck von dieser Tagung zurück, die einen vielfältigen Einblick in ein gesellschaftlich relevantes und facettenreiches Wirkungsfeld geschichtswissenschaftlicher und geschichtsdidaktischer Arbeit ermöglichte. Dass die „Neuen Medien“ doch etwas gar randständig abgehandelt wuren, bedauerte ich mit dem spezifischen „hist.net“-Interesse ein wenig. Gerade die Frage, wie zeitgeschichtliche Themen im Internet dargestellt werden (vor allem auch von wem), wie sie gefunden werden, wie sie genutzt werden, schiene mir von grossem Interesse, auch im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von Wikipedia als „Gatekeeper“ (übrigens ein Beispiel für einen nicht wirklich hilfreichen Artikel bezüglich Inhalten und Verweisen).

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert