Historisches Lernen im Virtuellen Raum

historischeslernenvirtuellerraum

An der PH Heidelberg fand am Dienstag und Mittwoch (3./4. März) eine Tagung zum Lernen im virtuellen Raum statt. Der Blick auf das Programm zeigt, wie breit dieses Thema behandelt werden kann – oder auch, dass sich erst wenige Wissenschafter/innen damit befassen. Thematisch befassten sich die Beiträge unter anderem mit Webportalen, die Zeitzeugen-Interviews anbieten, Ansätzen zur Benutzer/innen-Forschung in einem virtuellen Museum, dem Einsatz von Lernmanagementsoftware im Geschichtsunterricht und der Analyse des Frauenbilds in PC-Spielen mit historischem Inhalt (oder Hintergrund) oder des Webportals „dieDeutschen.de„, worin das ZDF explizit Inhalte für den Geschichtsunterricht zur Verfügung stellt. Ich selber habe erste Erkenntnisse aus meinem Dissertationsprojekt unter dem Titel „Geschichtslernen mit Copy/Paste und Share“ vorgestellt.

Einige Fragen, die sich mir im Verlaufe des Zuhörens stellten:

  • Zentrale Erkenntnis: Der Nutzen von digitalen Medien für das historische Lernen ist abhängig von den konkreten Aufgabenstellungen – und die sind meistens (wie auch bei analogen Lernmedien) nicht sehr gut. Da nutzt alle moderne Technologie nix.
  • Werden Attraktivität und Einsatzmöglichkeiten von digitalen Bildungsangeboten (sei es Internet, sei es CD-ROM oder DVD) nicht permanent überschätzt? Es zeigt sich, dass ein didaktisch sinnvoller Einsatz von hochgradig konstruierten Inhalten wie PC-Spielen oder Filmen, aber auch anspruchsvollen, ja delikaten Formaten, wie Zeitzeugen-Interviews, von den Lehrpersonen einen ziemlich hohen Aufwand an Vorbereitung und Begleitung verlangt. Auch die interaktiven Nutzungsmöglichkeiten von Social Software sind im unterrichtlichen Zusammenhang mit Einschränkungen zu sehen: die Schüler/innen sind nur begrenzt bereit (oder aufgrund der vielfältigen schulischen Belastung auch nur begrenzt in der Lage), ausreichend Zeit und Interesse zu investieren, um projektartig in Wikis, Weblogs usw. mitzuwirken. Das heisst nicht, dass dies nicht gelingen kann, aber letztlich führt die Forderung zum vermehrten Einsatz von digitalen Medien im Unterricht unter den genannten Voraussetzungen dazu, das Unterricht als Projektunterricht konzipiert und durchgeführt werden muss. Ich halte das allerdings unter den herrschenden Bedingungen des Zweistundenfachs Geschichte für nicht sehr realistisch. Der Einsatz neuer Technologien wird unter diesen Bedingungen möglicherweise nur zum „Special Event“, der wenig zum kritischen Umgang mit den digitalen Medien an sich beiträgt – weder unter mediendidaktischen noch unter geschichtsdidaktischen Gesichtspunkten. Konkret: Es kann ja nicht nur darum gehen, das Portal „dieDeutschen.de“ kritisch daraufhin zu befragen, wie hier Geschichte konstruiert wird; die gewonnenen Erkenntnisse sollten auch in den alltäglichen Umgang mit Geschichtsbildern, die den Schüler/innen im Internet begegnen, einfliessen können.
  • Beschäftigt hat mich auch der unterschiedliche Umgang mit Zeitzeugen-Interviews: Michele Barricelli berichtete von einem Projekt, bei dem mit dem Fundus des USC Shoah Foundation Instituts gearbeitet wird, das 52’000 Videos mit Holocaust-Überlebenden umfasst. Birgit Marzinka berichtete von ihrem (mehrfach ausgezeichneten, dennoch nicht weiterfinanzierten) Projekt zeitzeugengeschichte.de. Während Baricelli in seinem Referat darauf hinwies, wie wichtig es sei, dass die Zeitzeugeninterviews möglichst vollständig angeboten und von den Schüler/innen dann bearbeitet werden können, sind die Interviews auf zeitzeugengeschichte.de bereits bearbeitet, und zwar von den Schüler/innen, die diese selbst erstellt haben. Gerade im Vergleich mit dem in anderen Dimensionen sich bewegenden Unterfangen des Shoah Foundation Instituts fragt es sich, wie sinnvoll es ist, Jugendliche die Ergebnisse ihrer Interviews auf ein öffentliches Web-Portal zu stellen. Für die Jugendlichen ist das sicherlich eine tolle Projekterfahrung, vollgepackt mit Chancen, hautnah etwas über Geschichte zu erfahren. Und mediendidaktisch ist das auch ein unterstützungswürdiges Projekt, dafür hat es ja die Preise erhalten und, wie ich meine, in dieser Hinsicht auch zurecht. Doch man wünschte sich, dass geschichtsdidaktische und geschichtswissenschaftliche Überlegungen mehr in die Ausgestaltung dieses Projekts einfliessen würden.
  • Regionalisierung und Nacherfindung: Es gibt an verschiedenen Orten Bemühungen, ähnliche Projekt noch einmal neu, vielleicht sogar besser, auf jeden Fall angepasst an eigene Fragestellungen und Einsatzbedingungen, eventuell auch mit eigenen Umsetzungs-Ideen. So berichteten Manuel Altenkirch und Marcel Schäfer von einem Modul für Blended Learning mit dem Titel „Wie finde ich Literatur?„, das den Studierenden bei der Erstellung von Bibliographien helfen soll – eine etwas andere Anwendung von Ideen, wie sie etwas schon bei Geschichte Online realisiert wurden, wobei auch neuere Technologien zum Einsatz gelangen, die beispielsweise mehr Interaktivität und gediegenere Präsentationsformen ermöglichen. Allerdings wird hier recht viel Aufwand betrieben, ohne das mir so recht klar wird, was der Zugewinn bei Lehrenden und Lernenden ist (ausser, dass es Spass macht, ein Lehrmittel zu entwickeln und auszuprobieren – keine Frage durchaus ein legitimer Grund, aber reicht er aus?).
    Ganz offensichtlich gibt es auch in der Zeit des global umspannenden Internets selbst bei den Lernangeboten einen Bedarf an regionalen Lösungen. Schulen in Baden-Württemberg werden sich kaum mit der Regionalgeschichte in Schleswig-Holstein auseinandersetzen (wie in Vimu.info), dort ist umgekehrt aber die Neigung von Lehrpersonen grösser, sich im Unterricht anhand der regionalen Geschichte mit der Zeit des Nationalsozialismus zu befassen, und nicht unter einer nationalen Perspektiven, wozu es bereits unzählige andere Lehrmittel gibt.
  • Stichwort vimu.info: Mit dem ausserordentlich interessanten Projekt, das virtuelle Museum mit einer genaueren Untersuchung der virtuellen Besucher zu erforschen, bewegen sich die Kolleg/innen nicht nur im Schnittbereich zwischen Medien- und Geschichtsdidaktik, sondern auch der Museumsdidaktik, bzw. der jeweiligen Bezugswissenschaften. Das kann man ohne Übertreibung als innovative Herausforderung beschreiben.
  • Wie sinnvoll sind Lernumgebungen, die stark instruktional und angeleitet sind, und eigentlich nur „halbe“ Interaktivität ermöglichen? Oder zugespitzt: würde eine ungeordnete Sammlung von multimedialen Quellen, die die Schüler/innen und Lehrpersonen frei bearbeitet werden können, unter konstruktivistischen Gesichtspunkten nicht viel eher zu gelingendem historischen Lernen beitragen??
  • SecondLife-Effekt: Warum sind Informationsangebote bei den User/innen so beliebt, bei denen Büchern nachgebildet werden, die beim Umblättern (mittels Maus) sogar ein Umblättern-Geräusch von sich geben?
  • Hinweis von Alexander König: Man kann das Internet auch als „allwissende Müllkipppe“ bezeichnen, so wie Marjorie, die Müllkippe aus der Kinder-Fernseh-Serie „Fraggles„, die auf alle Fragen eine Antwort weiss, eine Variante zum „Schlauen Buch“ des Fähnchen Fieselschweif.

4 Gedanken zu „Historisches Lernen im Virtuellen Raum“

  1. Hallo Herr Hodel,
    vielen Dank für die sehr schnelle Reaktion und die vielen Gedanken zur Tagung. Dennoch erlauben Sie mir sicherlich kurz auf Ihren Eintrag einzugehen, oder?
    Sicherlich ist es so, dass unser Angebot und das von geschichte-online.at recht ähnlich sind, jedoch gibt es auch entscheidende Unterschiede! Wir haben uns bewusst dafür entschieden, ein genau auf die Bedürfnisse unserer Studierenden angepasstes Modul zu entwerfen, dass sich auf die Inhalte des zugrunde liegenden Seminars „Einführung in die Geschichtswissenschaft“ bezieht. Eine bei Weitem effektivere Hilfe als dies durch die Nutzung von geschichte-online.at zu erreichen gewesen wäre.
    Auch denke ich nicht, dass der Aufwand, den wir für die Erstellung unserer Module betreiben – es sollen ja noch einige folgen, denn eine Hausarbeit ist ja nicht nach dem Finden von passender Literatur abgeschlossen – zu groß ist. Vielmehr haben wir uns lange überlegt, ob der didaktische Nutzen der Anpassung an das Einführungsseminar, die Herstellungskosten rechtfertigt! Und ich bin mir sicher, dass dies der Fall ist. Ein hierfür entscheidender Faktor ist die konsequente Nutzung von „Rapid Authoring Programmen“, die eben eine sehr schnelle Umsetzung ermöglichen, ohne große Kosten zu produzieren – in Zeit und Geld!!
    Man darf auch nicht außer acht lassen, dass dieses Modul Teil einer ganzen Reihe von Modulen ist, die sich aufeinander beziehen und ergänzen; sozusagen ein Blended-Learning Gesamtkonzept.
    Und liegt der Kern einer Innovation nicht auch in der Unzufriedenheit mit dem Status Quo?
    Vielen Dank auch für Ihren sehr schönen Beitrag zur Tagung.
    Viele Grüße aus Heidelberg
    Manuel Altenkirch

  2. Lieber Herr Altenkirch
    So vehement müssen Sie Ihre Arbeit nicht verteidigen! 😉
    Einerseits stellte ich fest, dass die „Raumlosigkeit“ des weltumspannenden Internets eben nicht so ohne weiteres zu raumübergreifenden Nutzungen führt, sondern eher zu Inspirationen, die dann auf die spezifischen Bedürfnisse angepasst werden müssen. Dann muss eben jede Institution dann eben das eigene Online-Lernangebot entwickeln (und je ihre eigene Lernkurve durchmessen); offenbar ist das auch im Zeitalter des Internets so.
    Das hat aber auch Kostenfolgen, zu denen ich einfach mal die Frage stellen wollte, wie sich Aufwand und Ertrag insgesamt zueinander verhalten. Letztlich wird die Zukunft zeigen, welche Online-Lernangebote sich in der Praxis bewähren, weil sie einen echten Mehrwert generieren, der in einem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand (von Lehrenden und Lernenden) steht. Wäre schön, wenn Ihr Angebot zu diesen gehört.
    Wer übrigens etwas ausführlicher und weniger impressionistisch über die Inhalte der anregenden und wohl organisierten Tagung erfahren möchte, kann den Tagungsbericht bei HSK studieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert