ZB-Kolloquium zur Zitierbarkeit von Wikipedia

nichtzitierfaehig

Erstmals führte die Zentralbibliothek am letzten Dienstag ein Kolloquium am Mittag durch, und behandelte gleich ein Thema, das dem Zuschaueraufmarsch nach zu urteilen von grossem Interesse zu sein scheint: Wikipedia und die Wissenschaften. Geleitet wurde das Kolloquium von ZB-Bibliothekar Magnus Wieland und wurde unterstützt von Nando Stöcklin von der PH Bern, der zugleich Pressesprecher der Wikimedia Foundation Schweiz ist und in unserem Weblog auch schon Erwähnung gefunden hat. Vor wenigen Wochen haben die beiden Referenten bereits in einer öffentlichen Veranstaltung die Frage behandelt, wie Wikipedia genutzt werden kann. Nun richtete sich die Veranstaltung der ZB, die sich ja aktiv an Wikipedia beteiligt, an die wissenschaftlichen Nutzer/innen, wie im letzten April auch das von Peter Haber an der Universität Basel ausgerichtete Werkstattgespräch.

Gleich zu Beginn stellte sich die Frage nach den Urheber/innen der Wikipedia-Artikel: Wer sind die Autor/innen eigentlich und schon bald zeigte sich, wie wenig über die aktiven Mitarbeiter/innen bekannt ist – zugleich aber auch, wie sehr das Prinzip Wikipedia unsere etablierten Vorstellungen von Expertenwissen und Laienwissen in Frage stellt: Wann gewähren wir eine Information welchen Status und «Glaubwürdigkeit», wann benötigen wir welchen Grad vorgängiger Überprüfung von Informationen?

Nando Stöcklin wies kurz auf die Möglichkeiten der Qualitäts-Kontrolle durch den User hin und erläuterte auch die Eckpunkte, wie die «Wikipedia»-Community die Qualitätssicherung organisiert: im Wesentlichen eine Mischung aus Legitimation durch Interesse und Meritokratie, wobei der Prozess zwar transparent (nämlich öffentlich) gestaltet, die Kriterien jedoch nicht so klar sind, bzw. immer neu verhandelt werden können.

Schliesslich machte die Diskussion noch ein Schlaufe im Hinblick auf die Ausgangsfrage, wie denn die Hochschule mit der um sich greifenden Zitiererei aus Wikipedia umgehen soll, wobei im Publikum unaufgeregte und betont differenzierte Voten («Als Beleg für eine Begriffsdefinition durchaus denkbar, als Nachweis für einen Forschungsstand nicht geeignet» – leider fehlte der Verweis auf die meiner Ansicht nach immer noch gültigen Grundregeln von Peter Haber/Klaus Graf) mit etwas ratlos wirkenden Einwürfen («Was sollen wir machen, wenn die Studierenden eine Proseminar-Arbeit abgeben und nur Wikipedia zitieren?»). Wieder einmal wurden Vergleiche mit früher angestellt («Faule Studierende gab es schon immer») und auf die Kraft von Informationsveranstaltungen («Alle Studierenden müssten geschult werden, wie man mit Wikipedia umgeht») gesetzt. Der Hinweis darauf, dass letztere bereits von der ZB angeboten werden, blieb Magnus Wieland vorbehalten.

Ich zweifle jedoch, ob es mit «Aufklärung» getan ist. Not täte eine grundsätzlichere Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie unser Wissenschafts-System glaubwürdige Informationen generiert und dabei versucht, Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit und Transparenz herzustellen – und wie der Ansatz von Wikipedia hier eben völlig quer in der Landschaft steht und diese etablierten Kriterien in Frage stellt. Stattdessen gehen laut Berichten der Anwesenden viele Institutionen dazu über, Zitate aus Wikipedia einfach zu unterbieten: «Don’t Cite Wikipedia».

Zum Ende stellten die Referent noch die (rhetorische) Frage, ob im Zeitalter von Wikipedia die x-te Zusammenfassung über die «Theorie des Nachrichtenwerts» noch eine geeignete Aufgabenstellung sei. Dabei brachte Nando Stöcklin gegenüber der Aussage, Zusammenfassungen zu schreiben sei ein wichtiges Element des Lernprozesses, ein interessantes Argument vor: Vor der Einführung des Taschenrechners sei auch die Bedeutsamkeit des Rechnens von Hand betont und geschult worden – und nun sei in der Mathematik die Gewichtung der Fähigkeiten eben neu austariert worden.

Wikipedia als Informations-Taschenrechner? Blickt man auf die technische Entwicklung der iPhone-Gadgets, scheint diese Idee jedenfalls nicht sehr abwegig zu sein. Dann müssten aber (wenn man nicht in allen Prüfungsstunden die Handys einsammeln will) auch die Grundoperationen des «zusammenfassenden Schreibens» zunächst erlernt werden, damit die Plausibilität des Taschenrechner/Wikipedia-Resultats eingeschätzt werden kann.

7 Gedanken zu „ZB-Kolloquium zur Zitierbarkeit von Wikipedia“

  1. Als Reaktion auf die Anmerkungen von Alex (siehe obiger Verweis), der vor allem den Taschenrechner-Vergleich in Frage stellt: Es geht nicht nur ums Zitieren oder Nutzen von Wikipedia. Generell ist im Netz soviel an aufbereitetem Wissen vorhanden, dass Aufgabenstellungen, die Zusammenfassungen von Basiswissen zum Ziel haben, besonderer Erläuterung benötigen, warum das jetzt wichtig ist (und selbst dann wird das nicht immer zu Einsicht führen). Insofern ist die Gleichung “Wikipedia = Taschenrechner des Wissens” nicht so glücklich, vielleicht sogar irreführend – aber allemal anregend.

  2. Wikipedia ist nicht aus der Welt zu schaffen.
    Im 19. Jahrhundert demonstrierten auch die Postillione gegen die Eisenbahn. Schließlich wurden viele von denen Bahnschaffner. Also: Gerade als kompetenter Wissenschaftler sollte man sein Wissen auch Wikipedia zur Verfügung stellen, Fehler dort korrigieren – und zwar nicht anonym unter Kennwort, sondern unter Angabe seines wirklichen Namens und weiterer Kompetenznachweise auf seiner Benutzerseite.

  3. Es ist erstaunlich, dass die Diskussion so aktuell wirkt zumal der Artikel aus 2008 stammt. Das zeugt nicht gerade von Fortschritten im Konsens.

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