Denk mal

Wer hätte das gedacht: Ausgerechnet der Verfasser eines 600seitigen Kompendiums von Denkmälern in der Schweiz entlässt sein Publikum mit der Botschaft, dass eigentlich sozusagen fast jedes Denkmal vergeblich versucht das zu tun, was seine Ersteller so innig wünschen, nämlich Gedenken, Erinnerung, Gedächtnis auf Dauer herzustellen? So geschehen gestern Abend in einem Vortrag des Basler Historikers Georg Kreis vor der Historisch-Antiquarischen Gesellschaft. Ob die Entkleidung des Denkmals von seiner Funktion, die man ihm so selbstverständlich wie konventionell unterstellt, im Kreis der zumeist bejahrten Damen und Herren angekommen ist, sei dahin gestellt.

Interessanter ist, den Gedanken weiterzuspinnen. Woran liegt es, wenn die designierten «Zeitzeichen für die Ewigkeit» (so der Titel des 600seitigen Werks) ihren Dienst gar nicht erfüllen können? Es braucht eine «lebendige Denkmalgemeinde», so Kreis. Materialität allein genügt nicht. Ja natürlich, Erinnerung stellt sich immer nur im aktiven Prozess her, wenn sie nicht totes, beziehungsloses Artefakt ist. Und doch sind die Anstrengungen, Zeichen in der Zeit zu hinterlassen und sie an Materialität und an Orte zu binden – ihnen Raum zu geben – von ungebrochener Vitalität. Und so wichtig, dass darum auch gestritten wird. Hierzulande offenbar weniger, und wenn dann «lediglich» um die Gestaltung, nicht um die Inhalte, wie von Kreis zu erfahren war. Unsere Denkmal-Erinnerungsorte scheinen wenig umstritten, oder nicht mehr umstritten, die Denkmalgemeinden eingeschlafen (vielleicht mit Ausnahme der «Kämpfe» um die Ausdeutung der Rütliwiese?). Dass das zum Beispiel im us-amerikanischen Kulturkreis anders ist, wurde deutlich am diesjährigen Kongress des National Council on Public History (NHCP) in Louisville, Kentucky.

Die Rede, die der renommierte amerikanische Historiker Ed Linenthal zur Eröffnung gehalten hat, verweist auf die hochgradige Ambivalenz, ja Gefährlichkeit, von Erinnerungsorten wie von Sprache überhaupt: Beides, Sprache wie Gedenkort, können ebenso versöhnen wie verletzen, weil sie die Erfahrungen und Identitäten von Beteiligten nicht gleichermassen einschliessen, sondern auch ausschliessen. Womit wir es zu tun haben, wenn wir als HistorikerInnen in irgend einer Form an Erinnerung anknüpfen, Erinnerung dokumentieren und diese herstellen, hat essentiell mit Gefühlen zu tun. Linenthal spricht von «felt history», gefühlter Geschichte, einer Geschichte nämlich, die sich darüber Rechenschaft gibt, dass sie Emotionen anspricht, formt und mitten in Konflikt und Machtprozessen steht.

Vielleicht ein Anstoss, um die in Stein, Bronze oder Kupfer gebannte Figurenwelt neu anzuschauen und nach ihrer  – unauffällig-selbstverständlichen – Wirkung zu fragen?  Das hiesse dann: Nicht stehen zu bleiben bei der Entkleidung des Denkmals von seiner als selbstverständlich genommenen Erinnerungsfunktion, sondern nach dem – geheimen – Leben zu fragen, das die zu (vermeintlichen) «Leer-Zeichen» mutierten Zeitzeichen in unserem kulturellen Gedächtnis ganz unhinterfragt (und ganz ohne lebendige Denkmalsgemeinde) führen. Georg Kreis wäre sicher nicht dagegen.

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