HOK Reden: Rahmen-Theorien

Anlässlich einer Einladung ans Georg-Eckert-Institut Anfang dieser Woche kam mir der Begriff der „Rahmung“ unter. Gerdien Jonker plant den Aufbau einer Website, die wissenschaftliche Forschungsergebnisse zum Alltag in islamischen Ländern für die Verwendung in der Schule aufbereiten soll. Hier stellte sich die Frage, wie als heikle empfundene Inhalte sinnvoll auf der Website präsentiert werden können und sollen. Sind gewisse Inhalte und Verweise (etwa zu „radikalen“ Islamisten – aber eben: wer definiert hier „radikal“?) möglich, sinnvoll, erlaubt? Und (weniger inhaltlich aufgeladen), wie können und sollen Links zu verschiedenen medialen Formaten (Fernsehausschnitte, Tondateien, Bilder) behandelt, eingebettet, eben: „gerahmt“ werden?

Mich faszinierte der Begriff des „Rahmen“. Ein Wesenszug der neuen Informationstechnologien wie das Internet scheint mir ja, dass Rahmen gesprengt werden: gerade im schulischen Bereich. Früher gab es wohl die Möglichkeit (aber vielleicht ist das auch nur eine Rückprojektion?), den Rahmen des Unterrichts im klar umrissenen Setting des Schulzimmers zu kontrollieren. Aber auf einer Website? Zwei Klicks bzw. eine Google-Suche, und die Besucher/innen sind unter Umständen genau da gelandet, wo man sie nicht hinführen wollte.

Wenn die Lehrpersonen keinen Einfluss darauf mehr hat, wie die Inhalte zu den Schüler/innen kommen (wobei das gerade im Bereich der Geschichte ohnehin schon immer eine Illusion war), sollte sie vielleicht versuchen, darauf Einfluss zu nehmen, wie die Schüler/innen zu den Inhalten kommen. Mit anderen Worten: Kompetenzen fördern.

Worauf ist bei der Planung, Erstellung und Betrieb eines solchen Website-Projekt zu achten? Meine wesentlichen Erkenntnisse versuchte ich mit fünf Punkten zusammenzufassen:

  • Transparenz: Klarheit darüber schaffen, wie die Inhalte auf einer Website zustandegekommen sind: Was sind die erkenntnisleitenden Fragestellungen, die Interessen, die Methoden, der Kontext, die verwendeten Quellen? Das ist für Wissenschaftler wohl leicht einsehbar – auf Websites aber bei weitem noch nicht Standard.
  • Authentizität: Glaubwürdigkeit ist im vergleichsweise anonymen Umfeld des Internets ein wichtiges Kriterium, und diese speist sich bei der Zielgruppe Schüler/innen und Lehrpersonen vermutlich weniger aus der wissenschaftlichen Fundierung, als aus der Lebensnähe und Personalisierung der Informationen. Die Lebensnähe bezieht sich dabei sowohl auf die Seite des „Senders“ (jene Personen, die über sich erzählen) als auch des „Empfängers“ (Personen, die die Informationen aufnehmen).
  • De-Formalisierung: Ein Kunst-Wort, um den stärker informellen Charakter des Suchens, Aufnehmens und Verarbeitens von Informationen zum umschreiben. Nicht nur ist das Internet ein kaum strukturierter Fundus an unendliche vielen und vielfältig scheinenden Informationen: Das Internet (wie auch mobile Textnachrichten SMS) pflegt eine stärker an mündlicher Umgang orientierten Umgang mit Inhalten. Das gilt auch für die Kommunikation zwischen Personen.
  • Kompetenzen: Eine Website kann zwar keine Kompetenzen bei den Nutzer/innen herstellen („bitte klicken Sie auf den nebenstehenden Button, um die selbstentpackende Medienkompetenz-Datei herunterzuladen“) – sie kann diese Kompetenzen aber in Konzept und Konkretisierung berücksichtigen, diese benennen und offenlegen oder gar gezielt fördern und schulen (mit geeigneten Inhalten).
  • Werte: Die oben genannten vier Punkte basieren auf Werten, von denen wir nicht nur nicht mehr annehmen können, dass sie von allen Nutzer/innen geteilt werden, sondern von denen wir sogar annehmen müssen, dass sie nicht einmal mehr alle Nutzer/innen kennen. Folglich kommt dem Value Statement bei der Konzeption und bei der Ausführung besondere Bedeutung zu – gerade bei Websites, die sich mit strittigen Themen interkultureller Begegnung auseinandersetzen und „andere“, „neutrale“ oder „objektive“ Inhalte präsentieren wollen.

Noch einmal zum Rahmen: Mich beschäftigte das offensichtliche Dilemma zwischen dem offen angelegten Medium Internet (mit dem Leitsatz „jeder kann machen was er will – und muss selber wissen, was er erträgt oder lieber vermeiden will“) und dem verantwortungsorientierten System „Schule“ (mit dem Leitsatz „wir müssen gerade stehen für die Dinge, die in unserer Institution passieren“). Da Lehrpersonen oft zum Schluss kommen, dass ihre Schüler/innen nicht verwantwortungsvoll zu handeln bereit oder fähig sind, bleibt nur der Griff zum Filter: ungewünschte Internet-Inhalte werden aus der Schule ausgeblockt. Sei es Rechtsextremismus, Gewaltverherrlichung, Porno: was dem Strafrecht oder dem Jugendschutz untersteht, mag für die Jugendlichen ausserhalb der Schule leicht erreichbar sein – in der Schule darf es das aber nicht, denn Ärger (im Minimum) wäre das vorprogrammiert.

So gesehen wundert mich auch die Neigung zu „geschützten“ Lernmanagement-Umgebungen nicht, wie sie Beat Döbeli beschreibt (vgl. auch Stuff and Stir): hier lässt sich ein passwort-geschütztes, kontrolliertes virtuelles Ersatz-Klassenzimmer erstellen. Das löst zwar die Probleme der „unkontrollierbaren Inhalte“ auf dem Netz nicht – schafft aber eine gewisse psychologische Sicherheit.

Übersicht: HOK Reden

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert