Wiki im Unterricht: Erfahrungsbericht

 Wege in die Moderne
 
Die Ankündigung von Peter Haber zum (viel versprechenden) Kurs über Wikipedistik, sowie ein Erfahrungsbericht von Mark Stoneman (von Clio and Me, Blog des Monats im März d.J.) über seinen Kurs, in dem er Studierende mit Wikipedia arbeiten liess (und in einem Wiki den Kurs mit immerhin 111 Teilnehmenden administrierte), ist Anlass, kurz über meine Erfahrungen beim Einsatz von Wikis und Umgang mit Wikipedia in meinen Kurs im letzten Semester zu berichten. Ich komme zu ähnlichen Einschätzungen, wie Mark Stoneman in seinem Bericht und wie ich unter dem Titel „Digital Secondos„: Die Medienkompetenz der Studierenden ist sehr heterogen. Und doch kann man für die meisten sagen: Sie können zwar suchen, finden aber nichts, was sie für ihre Hochschulaufgaben verwenden könnten. Und von Wikipedia – oder überhaupt von Wikis – kennen Sie allenfalls die Benutzer-Oberfläche und dass alle reinschreiben können. Und Wikis für Unterrichtszwecke zu benutzen, hat seine Tücken.

Ich habe im Frühjahrssemester 2008 an der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz gemeinsam mit Monica Kalt einen Fachkurs Geschichte in der Ausbildung von Sekundarlehrerinnen und -lehrern durchgeführt. Der Titel des Kurses lautete „Wege in die Moderne“ und behandelt die Geschichte des 19. Jahrunderts. Der Kurs unterscheidet sich in der thematischen Konkretisierung von einer geschichtwissenschaftlichen Lehrveranstaltung an einer Universität, hat aber durchaus einen wissenschaftlich-methodischen Anspruch und ist in dieser Hinsicht mit Proseminaren zu vergleichen.

Einsatz und Nutzung des Wikis

Wir nutzten ein T-Wiki, eine Wiki-Variante, die mehr Anpassungen durch kundige User (Scripts, Automatisierungen) zulässt, dafür aber etwas schwieriger zu handhaben ist. So hatte die eingesetzte Version kein WYSIWYG-Editor, was schon etliche Studierende ziemlich ratlos werden und auf die Hilfe der (durchaus auch vorhandenen) „savvy users“ zurückgreifen liess. ((Anmerkung: die T-Wiki-Version, die auf dem PH-Server zum Einsatz kommt, wird/wurde am 2. September 2008 auf die neuste Version aktualisiert – die kann dann auch WYSIWYG, und sieht auch sonst etwas anders aus.))

Wir nutzten das Wiki einerseits als Plattform zur Kursbegleitung, in der die Sitzungen angekündigt und dokumentiert wurden und die Studierenden ihre Aufträge ablegten, bzw. erfüllten. Hier gab es zwar einen gewissen Widerstand, da den Studierenden der Zweck einer zusätzlichen Learn-Management-Tool (neben der anderen eingesetzten Software namens „Webcorp„, eine hochschuleigene Entwicklung) nicht so recht einsichtig war und sie dies vor allem als Zusatzbelastung empfanden.

Kollaborative Schreibprozesse waren rar. In der Regel organisierten sich die Gruppen so, dass eine Person die Pflege der Wiki-Einträge übernahm und nicht selten Texte, die ihr zugemailt wurden, in das Wiki einstellte. Der Einsatz von Online-Werkzeugen ist ohnehin kritisch zu befragen in einer Bildungsinstitution, in der die Studierenden ca. 80 Prozent der Veranstaltungen gemeinsam, gleichsam im Klassenverband, besuchen.  Dies wird sich zwar an der PH im nächsten Jahr wegen einer umfassenden Studienreform ändern – dennoch gilt diese Beobachtung vermutlich (wenn auch in abgeschwächter Form) ebenso für die stark verschulten Bachelor-Studiengänge. So sehr die Studierenden auch in Facebook und Co. ihre Freizeit verbringen mögen – das heisst eben nicht unbedingt, dass sie auch ihre Kurs-Kommilitonen als „Community“ sehen, mit denen sie online kommunizieren und kooperieren.

Der Einsatz von Wiki während der zwei-stündigen Unterrichtszeit verlief für uns Lehrende und für die Studierenden nicht zufriedenstellend. Zum einen fehlten die technischen Voraussetzungen, solche Anwendungen von Online-Tools während des Unterrichts funktionieren wohl nur, wenn alle Studierenden ein Endgerät zur Verfügung haben (sei es Laptop, Tablet oder Smartphone). Zudem ist der Wechsel zwischen öffentlichen Phasen des Unterrichts und individueller Arbeit (allein oder in Gruppen) und der Mix dieser Unterrichtsformen sehr anspruchsvoll. Im Verlauf des Kurses lief es auf eine Unterscheidung der Sitzungen in Werkstatt-Sitzungen mit selbständiger Arbeit der Gruppen am Laptop einerseits und Referate mit Diskussion ohne Laptop andererseits hinaus.

Recherche

Eine Sitzung widmeten wir der Recherche, bzw. der Recherche nach wissenschaftlicher Literatur. Wir machten ähnliche Erfahrungen wie Mark Stoneman. Die Studierenden kennen die Bibliothekskataloge, und sie können die Fachportale (die sie nicht kennen) durchaus bedienen. Doch haben sie oft Mühe, valable Ergebnisse zu erzielen, konkret: Literatur zu finden, die sie gebrauchen können. Das liegt (so meine Vermutung) weniger daran, dass Ihnen das niemand erzählt oder erklärt hat (da haben sie hier schon entsprechende Einführungen besucht); sondern eher an fehlender Übung, aber auch an fehlendem Verständnis. Oft leuchtete den Studierenden nicht ein, warum ein Wikipedia-Artikel oder sonst ein mittels Google gefundener Text nicht ausreicht – zumal gerade im Internet Texte zu finden sind, die schön praktisch einen Sachverhalt „auf den Punkt“ bringen, während in Büchern das Auffinden der nützlichen Informationen so mühsam ist. Gut möglich, dass Google Books in diesem letzten Punkt den Büchern wieder mehr Gewicht verleiht – sofern sie eingescannt worden sind.

Schliesslich liessen wir die Studierenden auch eine einfache Wikipedia-Übung machen: Zu einem selbst gewählten Artikel ausfindig machen, wann der Artikel begonnen wurde, wann und durch wen die letzte grössere Änderung vorgenommen wurde. Hier zeigte sich eine grosse Bandbreite: Für einige wenige war dies Routine – für die meisten jedoch ein Aha-Erlebnis. Ich zweifle daran, ob irgend einer oder eine der Studierenden danach noch einmal die Versions- oder Diskussion-Seite in Wikipedia angeschaut hat.

Fazit

Ich finde die Idee (bzw. das Vorhaben) von Mark Stoneman, auf Proseminar-Stufe eine Bibliographie-Übung an Stelle von Schreibübungen ins Auge zu fassen, sehr bedenkenswert. Auch wenn das Schreiben gelernt und dann auch geübt sein will – ohne Fähigkeiten zur und Verständnis von Informationsbeschaffung, die wissenschaftlichen Standards genügt, ist auch den Schreibfähigkeiten nicht geholfen, sondern wird vermutlich nur das Copy-Paste-Verhalten begünstigt.

7 Gedanken zu „Wiki im Unterricht: Erfahrungsbericht“

  1. Auch dies ein interessanter Hinweis. Im Interview mit Stewart Mader, der unter besagter Adresse zufinden ist, stellt dieser zwei Anwendungsmöglichkeiten für die Hochschullehre vor: Einerseits können die Lehrenden Wikis zur Erstellung von Skripts vor. Andererseits können Wikis für die Erledigung von Gruppenarbeiten von Studierenden genutzt werden. Richtig. Aber für beides benötigt man nicht zwingend ein Wiki. Beide Benutzergruppen (und darauf wollte ich in meiner Schilderung hinaus) bevorzugen andere, vertrautere Mediennutzungen, um zusammen zu arbeiten: Austausch von Dokumenten via Lernplattformen oder Mail oder USB-Stick.

  2. Vielen Dank für das aufschlussreiche Resümee. Ähnliche Erfahrungen sind übrigens auch in der betrieblichen Praxis zu machen. Einmal abgesehen von einem notwendigen Maß an technischer Kompetenz und Affinität muss ein echtes kollaboratives Arbeiten erst noch vorgelebt werden. In Unternehmen haben wir glücklicher Weise den Vorteil, notwendige Informationsprozesse auf ein Wiki umstellen zu können. So lässt sich schonmal die Notwendigkeit der persönlichen Wiki-Nutzung aufzeigen.

    Zum Einsatz von Wikis im Bildungsbereich fällt mir immer die Idee einer Art Schulbuchersatzes ein, was ich sehr sympathisch finde. Oder die Idee, das ein Jahrgang einen jüngeren Jahrgang in ein bestimmtes Thema einführen soll und dazu ein Wiki nutzen könnte…

    -Tim

  3. Ich habe im SoSe08 eine Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten im und mit dem Internet gegeben und werde dies auch im kommenden Semester wieder machen. In meinem Seminar war keiner, der sich an der Wikipedia beteiligt oder auch nur die Strukturen kennt, aber alle benutzen sie um eine Einführung in ein Thema zu bekommen. An kollaboratives Schreiben ist da kaum zu denken, es sei denn man macht es im Rahmen des Seminars. Interessanter fand ich das Ergebnis, dass die Studierenden trotz der Einführung in Recherche mit Einblicken in diverse Historikerportale lieber künftig weiterhin in die Biblithek gehen wollen. Und das obwohl ich intensiv versucht habe ihnen das Thema Open Access näher zu bringen und die Vorteile aufzuzeigen. Mein Fazit war ebenfalls, dass Studierende zwar stets online sind und sich dort auch rege austauschen, aber die wissenschaftliche Ebene und ihre Anforderungen sind ihnen nicht wirklich bewusst. Ich bin jedenfalls gespannt auf das kommende Seminar und ob ich mit mehr praktischen Übungen ihren Blickwinkel ändern kann.

  4. @ Tim: Ja, die Feststellung mit der Kultur, die sich erst etablieren muss, kann ich nur sehr unterstützen. Und die Idee mit einem jahrgangsübergreifenden Wiki-Projekt finde ich sehr interessant! Solche Projekte sind aber oft sehr aufwändig, die die Lehrpersonen meist nicht die gleichen sind und sich hier absprechen müssen.

    @ Honorata: Dass die Studierenden lieber in die Bibliothek gehen wollen, habe ich so nicht erlebt. Sie wollen zwar die Bilbiotheks-Bücher, diese aber bitte mit Google finden und dann gleich online einsehen können… Insofern ist OpenAccess vielleicht doch auf der richtigen Spur.

  5. Sehr geehrte Frau Yn,

    Vielen Dank auch für diesen interessanten Hinweis. Dürfen wir annehmen, dass Sie auch in diesem Bereich tätig sind, da sie doch so viele spannende Seiten zu kennen scheinen?

    Leider konnten wir Sie mit einer Google-Suche nicht ausfindig machen, obgleich Sie ja keinen Allerweltsnamen haben, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten. Wir hätten natürlich gerne auf Ihre Projekte und Forschungen zu unserem offenbar gemeinsamen Thema verwiesen.

    Mit den besten Grüssen,

    Ihr Peter Haber

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